Das silberne Zeichen (German Edition)
«Wenn er die Urkunden gestohlen hat, um Christoph vor Gericht zu bringen, dann will ich es aus seinem Mund hören – und er soll mir dabei in die Augen sehen.» Sie stand auf und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum.
Bardolf und Jolánda sahen einander besorgt an.
«Er wird es abstreiten», sagte Jolánda.
***
«Was soll ich getan haben? Bist du von allen guten Geistern verlassen?»
Marysa war noch am selben Abend in Milos Begleitung zu Hartwigs Haus gegangen und hatte ihn zu sprechen verlangt. Nun stand sie vor ihm in seiner Wohnstube und blickte in sein aufgebrachtes Gesicht. «Ich möchte, dass du meine Frage beantwortest, Hartwig», sagte sie so ruhig, wie es ihr möglich war. Ein leichtes Schwanken war ihrer Stimme jedoch anzuhören. «Bist du in Christophs Kammer eingebrochen? Hast du die Tasche mit seinen Urkunden gestohlen?»
«Mir scheint, du hast völlig den Verstand verloren!», tobte er los. «Nicht nur dass du diesem betrügerischen Bastard die Ehe versprochen hast, jetzt bezichtigst du mich auch noch des Diebstahls? Ich muss mich sehr über dich wundern, Marysa. Weißt du, was ich glaube? Es gibt diese Urkunden gar nicht, von denen ihr da redet. Dein sauberer Ablasskrämer hat dich aufs Kreuz gelegt. Ha!» Er lachte bitter auf. «Und das im wahrsten Sinne des Wortes, liebe Cousine. Du bist ihm auf den Leim gegangen. Mönch, dass ich nicht lache! Aber das sind ja bekanntlich die Schlimmsten.» Hartwigs Augen blitzten. «Hat es dir Vergnügen bereitet, wenn er unter deine Röcke geschlüpft ist, ja? Nach diesem Waschlappen von Reinold hatte er gewiss leichtes Spiel mit dir. Weiber!», fluchte er. «Ein paar süßliche Worte, gepaart mit ordentlicher Manneskraft, und ihr glaubt einem Kerl einfach alles.»
Marysa ballte die Hände zu Fäusten. «Du bist widerlich, Hartwig! Wie kannst du es wagen, so mit mir zu sprechen? Du hast überhaupt keine Ahnung …»
«Ach nein?» Hartwig trat dicht an Marysa heran und packte sie bei den Schultern. «Ich kann mir ziemlich gut vorstellen, wie er dich herumgekriegt hat. Und ich habe das Recht, es dir ins Gesicht zu sagen. Du bist meine Blutsverwandte. Ich sehe nicht tatenlos dabei zu, wie du die Ehre und das Ansehen unserer Familie in den Schmutz trittst. Ganz zu schweigen davon, dass du dich mit einem Mann eingelassen hast, der nicht nur ein Betrüger ist, sondern wahrscheinlich sogar weit Schlimmeres. Weißt du überhaupt, was dir blüht, wenn man diesen Hundesohn der Ketzerei und der Urkundenfälschung überführt? Man wird dich als Mittäterin anklagen. Und wie stehen wir dann da?» Er schüttelte sie heftig, dann ließ er plötzlich von ihr ab. «Sag dich von ihm los. Noch ist es nicht zu spät.» Er blickte sie eindringlich an. «Heirate Gort – oder meinetwegen auch deinen Gesellen Leynhard. Ich will keinen verfluchten Skandal in meiner Familie.»
Marysa zog die Brauen hoch. «Das ist es, worum es dir geht, ja? Dein Ansehen, deine Familie, dein Ruf. Hast du es deshalb getan? Hast du die Urkunden deshalb aus Christophs Kammer gestohlen?»
«Gar nichts habe ich gestohlen!», fuhr er sie an. «Hör endlich mit diesem Theater auf, sonst glaubst du am Ende selbst daran.»
«O ja, ich glaube daran!», zischte sie. «Weil es nämlich die Wahrheit ist, Hartwig. Christoph Schreinemaker ist ein Meister der Frankfurter Schreinerzunft. Das kann er beweisen. Daran wirst auch du nichts ändern, bloß weil du die Schriftstücke versteckt hast.»
«Du redest ja irr!»
«Ich habe bereits einen Boten nach Frankfurt geschickt, der beim Stadtrat Abschriften der Urkunden besorgen soll.»
«Von mir aus.» Hartwig schnaubte abfällig. «Tu, was du nicht lassen kannst. Du wirst schon sehen, dass man in Frankfurt nicht einmal weiß, wer Christoph Schreinemaker ist. Dann wirst du hoffentlich endlich merken, dass er dich betrogen hat. Ich hoffe nur, dass es dann nicht zu spät ist.» Er schüttelte den Kopf und trat etwas ruhiger auf sie zu. «Marysa, sieh es bitte ein: Es bringt nichts als Ärger, wenn du dich weiterhin auf die Seite dieses Mannes stellst. Ein Blinder kann sehen, dass er dieser Bruder Christophorus ist. Ich verstehe nicht, wie du dich dazu hinreißen lassen kannst, bei dieser Posse mitzuspielen.»
«Sie sind Zwillinge, Hartwig.»
«Pfff.»
«Zwillinge!», beharrte sie. «Sie sehen sich sehr ähnlich. Christoph und Robert.»
«Robert?»
«Robert», erklärte sie, «ist Bruder Christophorus. Er ist schon als Kind in den Konvent der Dominikaner
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