Das silberne Zeichen (German Edition)
schlechtes Gewissen versuchte sie dabei so gut es ging zu ignorieren. Schließlich richtete sie sich wieder auf und rieb sich müde übers Gesicht. Sie war froh, dass sie nichts gefunden hatte. War das so verwunderlich? Wenn Heyn tatsächlich etwas mit den Pilgerabzeichen zu tun hatte, würde er Beweise ganz sicher nicht hier im Haus verstecken. Wo aber sonst?
Marysa trat an das kleine Fensterchen, von dem aus man die gegenüberliegende Hauswand und unten die Hofeinfahrt sehen konnte. Das alles erschien ihr so absurd: Heyn, der – aus welchem Grund auch immer – die silbernen Zeichen gestohlen und gegen Fälschungen vertauscht hatte. Hartwig, der aus Zorn oder Neid oder weiß Gott was sonst versuchte, Christoph auf den Scheiterhaufen zu bringen. Natürlich hatte sich die Sache in der Stadt bereits herumgesprochen. Ihr Vetter hatte dafür gesorgt, indem er Männer gesucht hatte, die sich an den Ablasskrämer Christophorus erinnerten und gegen ihn aussagen würden.
Marysa schauderte und rieb sich über die Oberarme. Hatten Christoph und sie zu viel riskiert? Wer würde ohne Beweise schon glauben, dass Christoph einen Zwillingsbruder besaß, der ihm nicht nur ähnlich sah wie ein Ei dem anderen, sondern darüber hinaus auch Mönch gewesen war. Doch wer – und diese Frage stellte sich weit eindringlicher – wusste davon und wollte mit aller Macht verhindern, dass sie den Beweis für Roberts Existenz erbrachten?
Sie traten noch immer auf der Stelle, gestand Marysa sich ein. Seit vielen Tagen schon. Ihre einzige Hoffnung war der Bote. Lange konnte es nicht mehr dauern bis zu seiner Rückkehr. Sie hatte ihm Geld mitgegeben, damit er so oft wie nötig sein Pferd wechseln konnte. Auf diese Weise war die Strecke bis Frankfurt in wenigen Tagen zurückzulegen. Immer wieder sprach sie sich Mut zu, indem sie sich an diesen Umstand erinnerte.
Schließlich wandte sie sich wieder vom Fenster ab und machte einen Schritt auf die Tür zu. Dabei wäre sie beinahe über eines der Kleidungsstücke am Boden gestolpert. Verärgert blickte sie darauf hinab, bückte sich und hob das Wams auf. Gehörte es Heyn oder Leynhard? Auf den ersten Blick war das nicht zu erkennen. Marysa schüttelte es aus – es schien noch sauber und tragbar zu sein –, ging zu Heyns Bett und legte es darauf ab. Als sie sich etwas schwungvoll umdrehte, um nun endgültig die Kammer zu verlassen, schleifte ihr Rock an der Bettkante entlang und berührte auch den Nachttopf, der sich unter dem Bett befand. Etwas klirrte leise.
Erstaunt über das ungewöhnliche Geräusch, bückte Marysa sich. Wieder schüttelte sie den Kopf, diesmal missbilligend. Zwei metallene Knöpfe lagen darin und ein kleiner Schlüssel. Zum Glück war der Nachttopf sauber. Marysa fischte die drei kleinen Gegenstände heraus und legte sie auf den Tisch neben die Waschschüssel. Zwar gingen sie die Angelegenheiten ihrer Gesellen nichts an, doch eine solche Schludrigkeit gab wohl Anlass, die beiden zur Rede zu stellen. Was hatten Knöpfe und Schlüssel in einem Nachttopf zu suchen? Wie leicht hätte man sie übersehen und versehentlich in die Abortgrube schütten können! Während Marysa darüber nachdachte, hörte sie Schritte auf der Treppe.
«Herrin?», erklang Imelas Stimme. «Wir haben das Essen aufgetragen.» Die kleine Magd legte erstaunt den Kopf auf die Seite, als sie ihre Herrin aus der Kammer der Gesellen treten sah. «Kommt Ihr hinunter, Herrin? Ihr habt den ganzen Tag noch nichts gegessen. Das ist bestimmt nicht gut für Euch, sagt auch Balbina.»
«Ja, ja, Imela.» Marysa quälte sich ein Lächeln ab. «Ich komme schon. Sind von heute Mittag noch Äpfel übrig?»
***
Das Essen hatte ihr gutgetan. Satt und wesentlich ruhiger als zuvor, hatte sich Marysa in ihre Schlafkammer zurückgezogen. Die Fensterläden hatte sie einen Spalt weit offen gelassen. Trotz des Regens war es nicht zu kalt geworden. Noch immer wehte ein leichter Wind, der milde Luft mit sich brachte. Marysa schloss die Augen und versuchte einzuschlafen, doch vor ihrem inneren Auge tanzten zu viele Bilder.
Wie mochte es Christoph heute ergangen sein? Solange man ihn nicht weiter befragte, ließ man ihn vermutlich in seiner Zelle in Ruhe. Es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass man ihre nächtliche Kletterpartie bemerkt hatte. Längst hätte man deshalb Alarm geschlagen.
Obwohl sie ihr Problem nicht hatten lösen können, war es gut gewesen, Christoph zu sehen, mit ihm zu sprechen. Tagsüber konnte Marysa stark
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