Das Silmarillion
wer da sagt, wir auf unserer Seite wüssten den tapferen Feind nicht zu ehren. Sieh nun! Ich biete dir Freiheit. Geh zu den Deinen, wenn du es vermagst. Fort mit dir! Und wenn noch Elben oder Menschen übrigbleiben, um von diesen Tagen zu erzählen, so werden sie gewiss voller Hohn deines Namens gedenken, verschmähst du dieses Geschenk.«
Túrin, immer noch behext von den Augen des Drachen, glaubte seinen Worten, so als stünde er vor einem Feinde, welcher das Mitleid kennt; und er wandte sich um und eilte über die Brücke. Doch während er lief, sprach Glaurung hinter ihm drein und sagte mit boshafter Stimme: »Spute dich nun, Húrins Sohn, auf nach Dor-lómin! Oder sollen vielleicht die Orks dir zuvorkommen, wie schon einmal? Und wenn du dich um der Elbin willen verweilst, so sollst du Morwen nie wiedersehen, und Nienor, deine Schwester, sollst du nicht kennen; und verfluchen werden sie dich.«
Doch Túrin zog davon auf der Straße nach Norden, und Glaurung lachte abermals, denn er hatte seines Herrn Auftrag erfüllt. Dann ergab er sich der eigenen Lust und schnob Flammen und verbrannte alles um sich her. Die Orks aber,die geschäftig am Plündern waren, trieb er ins Freie und jagte sie davon, denn er gönnte ihnen nicht das kleinste Stück von ihrem Raube. Dann riss er die Brücke ein und warf sie in den schäumenden Narog; und nachdem er so in Sicherheit war, fegte er alle Schätze und Reichtümer Felagunds auf einen Haufen und legte sich darauf in der innersten Halle, um eine Weile zu ruhen.
Und Túrin eilte die Wege nach Norden entlang, durch die nun verwüsteten Lande zwischen Narog und Teiglin; und der Grausame Winter kam ihm entgegen, denn in jenem Jahr fiel der Schnee, ehe der Herbst noch vorüber war, und der Frühling kam verspätet und kalt. Immer war es ihm auf seinem Wege, als hörte er Finduilas’ Schreie, wie sie hinter Wald und Hügel seinen Namen rief, und groß war sein Schmerz; doch da sein Herz noch heiß war von Glaurungs Lügen und er stets im Geiste vor sich sah, wie die Orks Húrins Haus niederbrannten oder Morwen und Nienor peinigten, blieb er auf seinem Weg und wich nie zur Seite.
Endlich, ganz erschöpft von der Eile und von der Länge des Wegs (denn vierzig Meilen und mehr war er gegangen, ohne zu ruhen), kam er, zugleich mit dem ersten Eis des Winters, zu den Weihern von Ivrin, die ihn schon einmal geheilt hatten. Doch nur mehr ein gefrorener Sumpf waren sie jetzt, und er konnte dort nicht mehr trinken.
So kam er mühsam über die Pässe von Dor-lómin, durch bitteren Schnee aus Norden, und sah das Land seiner Kindheit wieder. Öd und kahl war es; und Morwen war fort. Ihr Haus stand leer, zerfallen und kalt, und nichts Lebendes war in der Nähe. So ging Túrin wieder fort und kam zum Hause Broddas, des Ostlings, der Aerin, Húrins Verwandte, zum Weib genommen hatte; und dort erfuhr er von einer altenDienerin, dass Morwen schon lange fort sei, denn sie war mit Nienor aus Dor-lómin geflohen; doch niemand als Aerin wusste, wohin.
Da ging Túrin zu Brodda und trat an seinen Tisch; er packte ihn, und das blanke Schwert ihm vorhaltend verlangte er zu wissen, wohin Morwen gegangen sei; und Aerin erklärte ihm, nach Doriath sei sie gezogen, ihren Sohn zu suchen. »Denn die Lande waren vom Unheil befreit«, sagte sie, »durch das Schwarze Schwert im Süden, das nun gefallen sein soll, wie man sagt.« Da gingen Túrin die Augen auf, und die letzten Fesseln von Glaurungs Bann fielen von ihm ab; und in seinem Schmerz und Zorn über die Lügen, die ihn getäuscht hatten, und im Hass auf Morwens Unterdrücker kam die schwarze Wut über ihn, und er erschlug Brodda in seiner eigenen Halle und andere Ostlinge mit ihm, die bei ihm zu Gast waren. Darauf floh er hinaus in den Winter, ein Gehetzter; doch halfen ihm manche, die von Hadors Volk noch da waren und die Wege in der Wildnis kannten, und mit ihnen entkam er im Schneegestöber zu einem Versteck der Bandenkrieger in den südlichen Bergen von Dor-lómin. Von da ging er wieder fort aus seinem Heimatland und kehrte ins Tal des Sirion zurück. Bitter war sein Herz, denn in Dor-lómin hatte er nur noch größere Leiden über die Reste seines Volkes gebracht, und sie waren froh, als er wieder fortging; und nur den einen Trost hatte er, dass der Fleiß des Schwarzen Schwertes Morwen die Wege nach Doriath geöffnet. Und er sagte sich: ›So hat dieses Werk doch nicht allen Unheil gebracht! Und wo könnte ich die Meinen besser untergebracht haben,
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