Das Silmarillion
und die Strömungen der Inneren Meere übertrug, und noch viele andere Geister. Und so kam es, dank Ulmos Macht, dass selbst unter dem Dunkel Melkors das Leben noch manch eine geheime Bahn fand und die Erde nicht starb; und alle, die sich im Dunkel verirrt hatten oder fern vom Licht der Valar wanderten, fanden stets bei Ulmo ein offenes Ohr; auch hat er Mittelerde nie vergessen, und was immer seither hereingebrochen sein mag an Verfall und Wandel, er hat nicht aufgehört, es zu bedenken, und er wird nicht aufhören bis zum Ende der Tage.
Und in jener Zeit des Dunkels mochte auch Yavanna die Außenlande nicht ganz verlassen; denn alles, was wächst, ist ihr teuer, und sie trauerte um ihr Werk, das sie in Mittelerde begonnen und das Melkor verdorben hatte. Zuweilen verließ daher sie das Haus Aules und die blühenden Wiesen von Valinor und kam, um zu heilen, was Melkor verwundet hatte; und immer, wenn sie heimkehrte, drängte sie die Valar zu dem Kriege gegen sein übles Reich, den sie gewiss noch wagen mussten, ehe die Erstgeborenen kamen. Und auch Orome, der Zähmer der Tiere, ritt zuweilen ins Dunkel der lichtlosen Wälder; als ein mächtiger Jäger zog er einher, mit Speer und Bogen, und hetzte Melkors Gezücht zu Tode, und sein weißes Ross Nahar leuchtete wie Silber zwischen den Schatten. Dann zitterte die schlafende Erde unter demTrommeln seiner goldnen Hufe, und im Dämmer der Welt blies Orome das Valaróma, sein großes Horn, auf den Ebenen von Arda; worauf die Berge das Echo zurückgaben, und die Schatten des Bösen flohen davon, und Melkor selbst zitterte in Utumno, ahnend, welches Strafgericht ihm bevorstand. Doch kaum war Orome vorüber, kamen die Diener Melkors wieder hervor, und die Lande waren voller Schatten und Truggestalten.
Alles ist nun davon gesagt, wie die Erde war und wer sie beherrschte zu Anbeginn der Tage, bevor die Welt wurde, wie die Kinder Ilúvatars sie erblickten. Denn Elben und Menschen sind die Kinder Ilúvatars; und weil die Valar jenes Thema nicht ganz verstanden hatten, mit dem die Kinder in die Musik eingetreten waren, wagten sie nicht, ihrer Beschaffenheit irgendetwas hinzuzufügen. Aus welchem Grunde die Valar auch für diese Geschlechter eher Älteste und Häuptlinge sind denn Herren; und wann immer die Ainur in ihren Geschäften mit Elben und Menschen versucht haben, sie zu zwingen, wo sie keinen Rat annehmen mochten, da ist dies selten gut ausgegangen, wie gut auch die Absicht gewesen. Doch hatten die Ainur am meisten mit den Elben zu tun, denn diese hatte Ilúvatar den Ainur ähnlicher geschaffen, wenn auch geringer an Macht und Größe; den Menschen hingegen verlieh er fremde Gaben.
Denn es heißt, dass nach dem Aufbruch der Valar Schweigen herrschte, und ein Alter lang saß Ilúvatar allein in Gedanken. Dann sprach er und sagte: »Sehet, ich liebe die Erde, welche die Wohnung sein soll für die Quendi und die Atani! Doch sollen die Quendi die schönsten von allen Erdengeschöpfen sein, und sie sollen mehr Schönes besitzen und ersinnen und schaffen als alle meine Kinder und den reichsten Segen haben in dieser Welt. Den Atani aber willich eine neue Gabe geben.« Daher beschloss er, dass die Herzen der Menschen über die Welt hinausstreben und in ihr nicht Ruhe finden sollten; doch sollten sie eine Kraft haben, ihr Leben inmitten all der Mächte und Zufälle der Welt nach eigener Wahl zu leben, jenseits der Musik der Ainur, die für alle andern Dinge wie das Schicksal ist; und von ihrem Wirken sollte alles in Form und Tat fertig werden und die Welt ausfüllen bis ins Letzte und Kleinste.
Doch Ilúvatar wusste, dass die Menschen mitten im Getümmel der Weltkräfte oft irren und ihre Gaben nicht zum Segen gebrauchen würden; und er sagte: »Auch diese sollen zu ihrer Zeit erkennen, dass, was immer sie tun, am Ende nur meinem Werke zur Ehre gereicht.« Und doch glauben die Elben, dass für Manwe, der Ilúvatars Sinn am besten kennt, die Menschen oft eine Last sind; denn den Elben scheint es, dass die Menschen unter allen Ainur Melkor am ähnlichsten sind, obgleich dieser sie immer fürchtete und hasste, selbst jene, welche ihm dienten.
Mit dieser Gabe der Freiheit ist es eins, dass die Menschenkinder nur für eine kurze Zeit in der lebendigen Welt wohnen und nicht an sie gebunden sind, sondern bald scheiden: wohin, das wissen die Elben nicht. Die Elben indes bleiben bis zum Ende aller Tage: Daher geht ihre Liebe zur Erde und zu allen Dingen mehr ins Einzelne; sie
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