Das Silmarillion
zahlen, so wird man um ihr Hinscheiden wenig trauern. So sehe ich es in meinen Gedanken. Ich möchte, dass die Bäume für alle Dinge sprechen, die Wurzeln haben, und dass sie jene bestrafen sollen, die ihnen Leid antun.«
»Ein merkwürdiger Gedanke ist dies«, sagte Manwe.
»Und doch war es so in dem Lied«, sagte Yavanna. »Denn während du in den Himmeln warst und mit Ulmo die Wolken gebildet und die Regen ausgeschüttet hast, da habe ich die Zweige der großen Bäume angehoben, um den Regen zuempfangen, und manche haben in Wind und Regen zu Ilúvatar gesungen.«
Da saß Manwe in Schweigen, und der Gedanke Yavannas, den sie ihm ins Herz getan, wuchs und entfaltete sich; und Ilúvatar sah es. Nun schien es Manwe, dass das Lied noch einmal um ihn her erklinge, und er achtete jetzt auf vieles, das er zuvor zwar gehört, aber nicht beachtet hatte. Und schließlich kam ihm das Gesicht wieder, nun aber nicht mehr von fern, denn er selbst war darinnen, und doch sah er, wie alles von Ilúvatars Hand getragen wurde; und die Hand griff ein, und viele Wunder entsprangen aus ihr, die bis jetzt in den Herzen der Ainur vor ihm verborgen geblieben waren.
Da erwachte Manwe, und er stieg hinab zu Yavanna auf den Ezellohar und setzte sich neben sie unter die Zwei Bäume. Und Manwe sagte: »O Kementári, Eru hat gesprochen und gesagt: ›Denken denn manche Valar, ich hätte nicht das ganze Lied gehört, bis in den letzten Ton der letzten Stimme? Sehet nun! Wenn die Kinder erwachen, dann wird auch Yavannas Gedanke erwachen, und er wird Geister von fern herbeirufen, und die werden unter den Kelvar und den Olvar wandeln, und manche werden dort wohnen und Verehrung genießen, und ihr gerechter Zorn soll gefürchtet sein. Eine Zeitlang: solange die Erstgeborenen in den besten Jahren und die Zweitgeborenen noch jung sind.‹ Doch erinnerst du dich nicht, Kementári, dass du nicht immer allein sangest? Ist nicht dein Gedanke auch dem meinen begegnet, so dass wir zusammen aufflogen wie große Vögel, die über die Wolken segeln? Auch dies soll sein, denn so will es Ilúvatar, und ehe die Kinder noch erwachen, sollen die Adler des Westens aufsteigen mit Schwingen wie der Wind.«
Da war Yavanna froh, und sie stand auf und streckte die Arme gen Himmel und sagte: »Hoch mögen Kementáris Bäume wachsen, damit die Adler des Königs darin horsten!«
Doch Manwe stand gleichfalls auf, und es schien, dass er zu solcher Höhe aufragte, dass seine Stimme wie von den Pfaden der Winde her zu Yavanna herunterdrang.
»Nein«, sagte er, »nur Aules Bäume werden hoch genug sein. In den Bergen werden die Adler horsten und die Stimmen derer hören, die uns rufen. In den Wäldern aber werden die Hirten der Bäume wandeln.«
Für den Augenblick trennten sich nun Manwe und Yavanna, und Yavanna kehrte zu Aule zurück; und der war in seiner Schmiede und goss geschmolzenes Metall in eine Form. »Freigebig ist Eru«, sagte sie. »Nun mögen deine Kinder sich in Acht nehmen! Denn eine Macht wird in den Wäldern umgehen, die sie nicht ungestraft erzürnen dürfen.«
»Dennoch werden sie Holz brauchen«, sagte Aule und fuhr fort zu schmieden.
KAPITEL III
VOM ERWACHEN DER ELBEN UND VON MELKORS GEFANGENSCHAFT
L ange Zeitalter hindurch lebten die Valar glückselig im Licht der Bäume jenseits der Berge von Aman, ganz Mittelerde aber lag im Dämmerlicht unter den Sternen. Während die Leuchten schienen, hatte ein Wachsen begonnen, das nun aufgehalten wurde, weil alles wieder dunkel war. Doch schon hatten sich die ältesten lebenden Dinge erhoben: im Meere die großen Wasserpflanzen und auf der Erde der Schatten der großen Bäume; und in den Tälern der umnachteten Gebirge waren dunkle Geschöpfe, alt und stark. In jene Länder und Wälder kamen die Valar selten, bis auf Yavanna und Orome; und Yavanna ging dort zwischen den Schatten, voll Kummer, weil das Wachstum und die Verheißungen des Frühlings von Arda sich nicht erfüllten. Und sie legte Schlaf auf vieles, das im Frühling aufgegangen war, damit es nicht altern, sondern auf die Zeit des Erwachens warten sollte, die noch kommen würde.
Doch im Norden sammelte Melkor sein Heer, und er schlief nicht, sondern gab Obacht und war tätig; und die Undinge, die er verdorben, streiften umher; und die dunklen, schlafenden Wälder wurden von Ungeheuern und Schreckgestalten heimgesucht. Und in Utumno scharte er seine Dämonen um sich, jene Wesen, die sich von Anfang an, schonin den Tagen seines Glanzes, ihm
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