Das Silmarillion
verflucht!« Maeglin aber gab keine Antwort.
Da setzte sich Turgon auf seinen Thron und nahm seinen Gerichtsstab zur Hand und sprach mit strenger Stimme: »Ich streite nicht mit dir, Dunkelelb. Die Schwerter der Noldor allein schützen eure sonnenlosen Wälder. Die Freiheit, dort umherzuschweifen, verdankt ihr meinem Volke; Arbeitssklaven wäret ihr längst ohne uns in den Gruben von Angband. Und hier bin ich König, und ob es dir gefällt oder nicht, mein Urteil ist Gesetz. Diese Wahl nur hast du: hier zu wohnen oder hier zu sterben, und so auch dein Sohn.«
Da sah Eol König Turgon in die Augen, und er war nicht erschrocken, sondern stand lange da, ohne ein Wort oder eine Bewegung, und es wurde totenstill in der Halle; und Aredhel hatte Angst, denn sie wusste, er war gefährlich. Plötzlich, schnell wie eine Schlange, ergriff er den Spieß, den er unter seinem Mantel verborgen hielt, warf ihn nach Maeglin und rief: »Das Zweite ist meine Wahl, und so auch für meinen Sohn! Du sollst nicht haben, was mein ist.«
Doch Aredhel sprang dazwischen, und der Spieß traf sie in die Schulter, und Eol wurde von vielen überwältigt und inFesseln gelegt. Man führte ihn hinweg, während andere sich um Aredhel kümmerten. Maeglin aber blickte schweigend auf seinen Vater.
Verfügt wurde, dass Eol am nächsten Tage dem König vorgeführt werde, um sein Urteil zu empfangen; und Aredhel und Idril bewogen Turgon zur Gnade. Am Abend jedoch wurde Aredhel krank, obgleich ihre Wunde gering schien; sie fiel ins Dunkel und starb noch in derselben Nacht; denn die Spitze des Spießes war vergiftet, doch keiner erkannte es, ehe es zu spät war.
Daher fand Eol keine Gnade, als er vor Turgon erschien; man führte ihn hinweg zum Caragdûr, einem schwarzen Felsvorsprung an der Nordseite des Hügels von Gondolin, um ihn dort von den hohen Mauern der Stadt hinabzustoßen. Und Maeglin stand dabei und sagte nichts; Eol aber rief zuletzt aus: »So lässt du deinen Vater im Stich und seine Sippe, missratener Sohn! Hier sollen alle deine Hoffnungen scheitern, und hier wirst du desselben Todes sterben wie ich.«
Dann stieß man Eol vom Caragdûr hinab, und dies war sein Ende, und allen in Gondolin schien es gerecht; Idril aber war bestürzt, und von diesem Tage an misstraute sie ihrem Vetter. Maeglin aber blühte auf und wurde ein Großer unter den Gondolindrim, von allen gerühmt und in hoher Gunst bei Turgon; denn nicht nur lernte er schnell und willig, was es zu lernen gab, sondern er hatte auch so manches zu lehren. Und er scharte um sich alle, die am meisten von der Schmiedekunst und vom Bergbau wussten, und grub in den Echoriath (das heißt: den Umzingelnden Bergen) und fand reiche Adern von den Erzen mannigfacher Metalle. Am höchsten schätzte er das harte Eisen der Mine von Anghabar im Norden der Echoriath, und daraus gewann erreichlich Schmiedeeisen und Stahl, so dass die Waffen der Gondolindrim noch fester und schärfer wurden; und das kam ihnen in späteren Tagen zustatten. Klug im Rate war Maeglin und bedachtsam, und doch unentwegt und tapfer, wenn nötig. Und das sah man in späteren Tagen: Denn als im schlimmen Jahr der Nirnaeth Arnoediad Turgon seine Tore öffnete und auszog, um Fingon im Norden zu Hilfe zu kommen, da mochte Maeglin nicht als Statthalter des Königs in Gondolin bleiben, sondern zog mit in den Krieg und focht an Turgons Seite und bewies Mut und Kraft in der Schlacht.
Also schien Maeglins Schicksal glücklich, denn ein Mächtiger unter den Prinzen der Noldor war er geworden, bis auf einen der Höchste im ruhmreichsten ihrer Länder. Sein Herz aber offenbarte er nicht; und wenn auch nicht alles so ging, wie er wollte, so trug er es doch schweigend und verbarg seine Gedanken, so dass niemand sie lesen konnte, es sei denn Idril Celebrindal. Denn von seinen ersten Tagen in Gondolin an trug er ein Leid in sich, das immer schlimmer wurde und ihm alle Freude raubte: Er liebte Idrils Schönheit und begehrte sie, doch ohne Hoffnung. Die Eldar vermählten sich nicht mit so nahen Verwandten, und noch niemand hatte dies je gewünscht. Und wie dem auch sein mochte, Idril liebte Maeglin nicht im mindesten, umso weniger, da sie wusste, wie er über sie dachte. Denn ihr erschien dies als ein sonderbarer, unehrlicher Zug an ihm, und so haben auch die Eldar es seither immer verstanden: als eine böse Frucht des Sippenmords, wodurch der Schatten von Mandos’ Fluch auch auf die letzte Hoffnung der Noldor fiel. Doch während die Jahre
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