Das Silmarillion
wohnen. Nur einer, der Herr des Dunkels, steht hier vor uns, und die Eldar, weise, doch grausam, die endlos Krieg gegen ihn führen. Im Norden wohnt er, sagen sie, und dort sind das Leid und der Tod, vor denen wir geflohen sind. Dorthin wollen wir nicht gehen.«
Nun wurden ein Rat und eine Versammlung der Menschen einberufen, und in großer Zahl kamen sie zusammen. Und die Elbenfreunde antworteten und sagten: »Gewiss, von dem Dunklen König kommen alle Übel, vor denen wir geflohen sind, doch strebt er nach Herrschaft über ganz Mittelerde, und wohin könnten wir nun gehen, ohne dass er uns verfolgte, wenn er nicht hier besiegt oder wenigstens belagert wird? Nur die Tapferkeit der Eldar gebietet ihm Halt, und vielleicht war es zu dem Zweck, ihnen in der Not zu helfen, dass wir in dieses Land geführt wurden.«
Darauf erwiderte Bereg: »Sollen die Eldar sich darum sorgen! Unser Leben ist kurz genug.« Dann aber stand einer auf, von dem alle meinten, er sei Amlach, Imlachs Sohn, und führte so schwarze Rede, dass allen, die ihn hörten, das Herz stockte: »All dies sind bloß Elbenmärchen, um leichtgläubige Neulinge zu betrügen. Das Meer hat kein Ufer. Es gibt kein Licht im Westen. Einem Blendwerk der Elben seid ihr gefolgt, bis ans Ende der Welt. Wer von euch hat je auch nur den Geringsten von den Göttern gesehen? Wer hat den Dunklen König im Norden gesehen? Wer hier nach Herrschaft über Mittelerde strebt, sind die Eldar. In ihrer Gier nach Schätzen und Geheimnissen haben sie in der Erde gegraben und den Zorn derer erregt, die unter ihr wohnen, seit je und auf immer. Lasst den Orks ihr Reich, und wir werden das unsere haben! Platz genug ist in der Welt, wenn ihn die Eldar uns nur gönnen.«
Da saßen die Zuhörer eine Weile sprachlos da, und ein Schatten der Furcht fiel auf ihre Herzen, und sie beschlossen, weit fortzuziehen aus den Ländern der Eldar. Später aber kam Amlach wieder unter sie und leugnete, dass er bei diesem Streit zugegen gewesen sei und die Worte gesprochen habe, die man von ihm berichtete; und Zweifel und Bestürzung herrschten unter den Menschen. Da sagten die Elbenfreunde: »Nun werdet ihr zumindest dies glauben: Den Dunklen König gibt es wirklich, und seine Späher und Sendlinge sind unter uns, denn er fürchtet uns und unsere Kraft auf Seiten seiner Feinde.«
Doch immer noch antwortete jemand: »Er hasst uns nur, und umso mehr, je länger wir hier bleiben und uns in seinen Streit mit den Eldarkönigen mischen, ohne Gewinn für uns.« Viele von denen, die noch in Estolad wohnten, machten sich daher zum Aufbruch bereit; und Bereg führte tausend aus Beors Volk nach Süden davon, und sie verschwanden aus den Liedern jener Tage. Amlach aber bereute und sagte: »Jetzt habe ich meinen eignen Streit mit diesem Meister der Lügen, und der soll dauern bis an mein Lebensende.« Und er ging nach Norden und trat in Maedhros’ Dienst. Doch diejenigen aus seinem Volke, die mit Bereg eines Sinnes waren, wählten sich einen neuen Führer und gingen zurück über die Berge nach Eriador und sind nun vergessen.
Während dieser Zeit blieben die Haladin in Thargelion und waren zufrieden. Morgoth aber, als er sah, dass er mit Lug und Trug Elben und Menschen nicht ganz und gar trennen konnte, war voller Zorn und Eifer, den Menschen Schaden zu tun, wo er nur konnte. So schickte er eine Schar Orks aus, die sich nach Osten an der Belagerung vorbeischlichen und heimlich auf den Pässen der Zwergenstraße über die Ered Lindon wieder nach Westen kamen; und sie überfielen die Haladin in den südlichen Wäldern von Caranthirs Land.
Nun lebten die Haladin nicht unter der Herrschaft eines Fürsten oder zu vielen an einem Platze, sondern in vereinzelten Gehöften, deren jedes seine eigene Ordnung hatte, und so waren sie nicht schnell zu vereinigen. Doch unter ihnen war ein furchtloser Mann namens Haldad, dessen Wort etwas galt; und er sammelte alle Tapferen, die er finden konnte, und zog sich auf die Landzunge zwischen dem Ascar und dem Gelion zurück, und im äußersten Winkel baute er einen Palisadenzaun von Ufer zu Ufer; und dahinterbrachten sie alle Frauen und Kinder in Sicherheit, die sie retten konnten. Dort wurden sie belagert, bis sie nichts mehr zu essen hatten.
Haldad hatte Zwillingskinder: Haleth, seine Tochter, und Haldar, seinen Sohn; und beide zeichneten sich bei der Verteidigung aus, denn Haleth war eine Frau von großem Herzen und großer Stärke. Zuletzt aber wurde Haldad bei einem Ausfall
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