Das Silmarillion
hast du Beren, Barahirs Sohn, gesehen.«
Dann sah er Melian in die Augen, und sie sagte nichts; und er sagte Lúthien Tinúviel Lebewohl, verneigte sich vorThingol und Melian, schob die Wachen beiseite, die um ihn waren, und ging allein aus Menegroth fort.
Dann endlich sprach Melian, und sie sagte zu Thingol: »O König, schlau ist dein Plan. Doch wenn meine Augen noch sehen können, so geht es schlecht aus für dich, ob Beren nun scheitert oder seinen Auftrag erfüllt. Denn entweder hast du deine Tochter verurteilt oder dich selbst. Und nun wird Doriath ins Geschick eines mächtigeren Reiches verstrickt.«
Doch Thingol erwiderte: »Nicht an Elben noch Menschen gebe ich sie her, die mir über alle Schätze lieb und wert ist. Und wenn zu hoffen oder zu fürchten stünde, dass Beren jemals lebendig nach Menegroth zurückkehrt, so soll er das Licht des Himmels zum letzten Male gesehen haben, was ich auch geschworen habe.«
Lúthien aber schwieg, und von jener Stunde an sang sie nicht mehr in Doriath. Brütende Stille senkte sich über die Wälder, und die Schatten wurden länger in Thingols Reich.
Im Leithian-Lied heißt es, Beren sei unbehindert durch Doriath gezogen und schließlich in das Gebiet der Dämmerseen und der Sümpfe des Sirion gelangt; und Thingols Land verlassend, stieg er die Hügel über den Fällen des Sirion hinauf, wo der Fluss mit großem Getöse unter die Erde stürzt. Von da aus blickte er nach Westen, und durch den Nebel und Regen auf jenen Hügeln sah er Talath Dirnen, die Bewachte Ebene, die sich zwischen Sirion und Narog erstreckte; und dahinter erkannte er in der Ferne das Hochland von Taur-en-Faroth, das sich über Nargothrond erhob. Und in seiner Not, ohne Rat oder Hoffnung, lenkte er die Schritte dorthin.
Unaufhörlich hielten die Elben von Nargothrond in jener Ebene Wache; und jeder Hügel an den Grenzen trug versteckte Türme, und überall in den Wäldern und Feldernstreiften heimlich und geschickt getarnt Bogenschützen umher. Ihre Pfeile waren treffsicher und tödlich, und nichts kam dort hindurch gegen ihren Willen. Ehe Beren daher weit auf seinem Wege gekommen war, hatten sie ihn bemerkt, und sein Tod war nahe. Doch kannte er die Gefahr und hielt stets Felagunds Ring in die Höhe; und obwohl er nichts Lebendes sah, denn die Wachen hielten sich wohl verborgen, spürte er doch, dass er beobachtet wurde, und er rief mehrmals laut aus: »Ich bin Beren, Barahirs Sohn, des Freundes von Felagund. Bringt mich zum König!«
Daher töteten die Wachen ihn nicht, sondern sammelten sich, lauerten ihm auf und geboten ihm Halt. Doch als sie den Ring sahen, verbeugten sie sich vor ihm, obgleich er übel aussah, verwildert und abgekämpft vom Wege; und sie führten ihn nach Norden und Westen, des Nachts marschierend, um ihre Wege nicht zu verraten. Denn zu jener Zeit gab es keine Furt oder Brücke vor den Toren von Nargothrond über den reißenden Narog; weiter im Norden aber, wo der Ginglith in den Narog floss, war die Strömung schwächer, und dort setzten die Elben über und wandten sich dann wieder südwärts, Beren im Mondschein an die dunklen Tore ihrer verborgenen Hallen geleitend.
So kam Beren vor König Finrod Felagund; und Felagund erkannte ihn, denn es bedurfte keines Ringes, um ihn an die Sippe Beors und Barahirs zu erinnnern. Hinter verschlossenen Türen saßen sie, und Beren erzählte vom Tode Barahirs und von allem, was ihm selbst in Doriath widerfahren; und er weinte, als er Lúthiens gedachte und ihrer gemeinsamen Freuden. Felagund aber hörte seine Geschichte mit Erstaunen und Unruhe an; und er erkannte, dass der Eid, den er geschworen, ihm zum Tode gereichen würde, wie er es vor langer Zeit einmal zu Galadriel gesagt hatte. Dann sprach erzu Beren, schweren Herzens: »Es ist klar, deinen Tod will Thingol; doch scheint es, dass dies Verhängnis über seine Absicht hinausgeht und dass Feanors Eid wieder am Werk ist. Denn die Silmaril sind verflucht mit einem Eid des Hasses, und wer sie nur in Begehren beim Namen nennt, weckt eine große Kraft aus dem Schlaf; und Feanors Söhne würden eher alle Reiche der Elben in Trümmer legen als dulden, dass irgendeiner außer ihnen selbst einen Silmaril gewinnt oder besitzt, denn der Eid treibt sie an. Und jetzt wohnen Celegorm und Curufin in meinen Hallen, und wenngleich ich, Finarfins Sohn, der König bin, so haben sie doch viel Macht im Reiche erlangt, und viele aus ihrem eigenen Volke sind mit ihnen gekommen. Mir haben sie
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