Das Silmarillion
ihm.
Es heißt im Leithian-Lied, grau und gebeugt wie von vielen Jahren des Wehs sei Beren nach Doriath hineingestolpert, solche Qualen hatte er auf dem Wege erlitten. Doch als er im Sommer durch den Wald von Neldoreth ging, da trafer Lúthien, Thingols und Melians Tochter, zur Abendzeit, als der Mond aufging, und sie tanzte auf dem immergrünen Gras der Lichtungen am Esgalduin. Da schwanden ihm alle Erinnerungen an seine Leiden, und ein Zauber fiel auf ihn, denn Lúthien war das schönste von allen Kindern Ilúvatars. Blau wie der wolkenlose Himmel war ihr Gewand, ihre Augen aber waren grau wie der Abend unter den Sternen; ihr Mantel war mit goldnen Blumen bestickt, ihr Haar aber war dunkel wie die Schatten der Dämmerung. Wie Licht auf dem Laub der Bäume, wie die Stimme klarer Gewässer, wie die Sterne über den Nebeln der Welt, so war ihr Glanz und Liebreiz; und aus ihrem Antlitz schien ein Licht.
Doch sie verschwand vor seinen Augen; und er wurde stumm, wie vom Bann geschlagen, und lange schweifte er durch die Wälder, wild und scheu wie ein Tier, Lúthien suchend. Für sich nannte er sie Tinúviel, das heißt im Grauelbischen Nachtigall, Tochter der Dämmerung, denn anders kannte er sie nicht beim Namen. Und er sah sie von fern, wie Laub, das der Herbstwind wegführt, und im Winter wie einen Stern auf einem Hügel, doch eine Kette war um seine Glieder.
Es kam eine Zeit gegen Morgen, vor Frühlingsanfang, und Lúthien tanzte auf einem grünen Hügel, und plötzlich begann sie zu singen. Scharf und herzzerreißend war ihr Lied, wie das Lied der Lerche, die aus den Pforten der Nacht steigt und ihre Stimme unter die verblassenden Sterne ergießt, wenn sie die Sonne hinter den Mauern der Welt sieht; und Lúthiens Lied löste die Fesseln des Winters, und die gefrorenen Wasser sprachen wieder, und Blumen sprossen aus der kalten Erde, wo ihr Fuß sie berührt hatte.
Da fiel der Bann des Schweigens von Beren, und er rief sie, er schrie: »Tinúviel«, und ihr Name hallte aus den Wäldern wider. Da hielt sie verwundert inne und floh nicht mehr, und Beren trat zu ihr. Doch als sie ihn ansah, fiel das Urteil über sie, und sie liebte ihn; doch entschlüpfte sie seinem Arm und Blick, als eben der Tag anbrach. Da sank Beren zu Boden, ohne Besinnung, wie ein von Glück und Schmerz zugleich Getroffener, und er fiel in Schlaf wie in einen Abgrund von Schatten, und als er erwachte, war er kalt wie Stein und sein Herz verödet und verlassen. Und als er seine Gedanken wandern ließ, griff er um sich wie einer, der, von plötzlicher Blindheit geschlagen, das verschwundene Licht mit den Händen zu packen sucht. So begann er den Schmerzenszoll für das Schicksal zu zahlen, das auf ihm lag; und in sein Schicksal wurde Lúthien verstrickt, und obgleich unsterblich, hatte sie an seiner Sterblichkeit teil, obgleich frei, trug sie mit ihm seine Ketten; und größer war ihr Leid, als es je einer von den Eldalië erlitten.
Unverhofft kam sie wieder zu ihm, wo er im Dunkeln saß, und vor langen Zeiten im Verborgenen Königreich legte sie ihre Hand in die seine. Hernach kam sie oft, und heimlich gingen sie zusammen durch die Wälder, von Frühling bis Sommer, und nie haben andre Kinder Ilúvatars je solche Freude gekannt, so kurz ihre Zeit auch war.
Doch auch Daeron der Spielmann liebte Lúthien, und er spähte ihre Treffen mit Beren aus und meldete sie Thingol. Da war der König voller Zorn, denn Lúthien liebte er über alles; für jeden Elbenprinzen war sie ihm zu teuer, während er sterbliche Menschen nicht einmal in seiner Dienerschaft duldete. Daher sprach er zu Lúthien in Kummer und Befremden, doch sie verriet nichts, bis er ihr einen Eid schwor, dass er Beren weder töten noch ins Gefängnis werfen wolle. Doch schickte er seine Diener, dass sie Hand auf ihn legten und ihn als Missetäter nach Menegroth brächten; und demkam Lúthien zuvor, indem sie Beren selbst wie einen ehrenwerten Gast vor Thingols Thron führte.
Da blickte Thingol in Zorn und Verachtung auf Beren; Melian aber blieb still. »Wer bist du«, sagte der König, »der du hierherkommst wie ein Dieb und es wagst, ungebeten meinem Throne zu nahen?«
Beren aber, eingeschüchtert von all der Pracht Menegroths und von der Majestät Thingols, gab keine Antwort, und so sprach Lúthien und sagte: »Er ist Beren, Barahirs Sohn, ein Fürst der Menschen und gefürchteter Feind Morgoths, und vom Ruhm seiner Taten singen schon die Elben.«
»Kann er nicht selber
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