Das singende Kind
Schlüssel nicht mitnahm. Trudi hielt an den kleinen Abhängigkeiten fest, genau wie er es tat. Das Band zwischen ihnen blieb straff gespannt, und beide ließen nicht los.
Der Traum war in der letzten Nacht sehr deutlich gewesen, und Georg hatte Jos erkannt in dem Kreis von Kindern, die ihn nicht einließen. Er war sicher, Jos in all den Jahren des Traumes nie gesehen zu haben, und jetzt stand er im Kreis und verweigerte ihm die Hand.
Georg trug das Glas zurück. Holte die Kartoffeln hervor. Fing an zu schälen. Er schüttelte widerwillig den Kopf, schüttelte ihn heftig, als könne er den Traum herausschütteln. Er war auf dem Weg in die Hypochondrie. Ein Hypochonder der Gefühle.
Trudi schlug das Telefonbuch auf und fühlte sich, als suche sie einen Schatz, den sie noch nicht heben wollte. Trudi hatte Angst vor dem Wissen, das sie über Cilly Weil sammeln würde. Lieber den Traum verlängern und Sängerin sein. Von Liedern, die jedes Vorsingen zu ihren Gunsten entschieden. Ein Engagement, das Georg Achtung abrang. Geld, das Trudi ihm in das Kuvert legen konnte. Kritiken, die sie den Eltern nach Nizza schickte. Trudi Fortgang.
Trudi war willig, die guten Zeichen zu erkennen. Die freie Telefonzelle. Das funktionierende Telefon. Die Seiten, von denen keine fehlte. Nicht mal die entscheidende. Ihr Finger schob sich durch die Spalten. Da stand sie unten in der Ecke. Cilly Weil.
Trudi ließ es läuten. Zwanzigmal. Sie zählte mit. Wie weitläufig war Cilly Weils Wohnung? Trudi hängte den Hörer ein und schrieb die Adresse auf. Eine Straße, von der sie noch nicht gehört hatte. Vor der Tür stehen. Erinnern Sie sich? Ich bin die, die leichte Lieder singen will.
Trudi drückte die Tür der Telefonzelle auf und ging zur Untergrundbahn hinüber. Sie wollte ein Ticket lösen und sah auf die Uhr des Mannes, der es vor ihr tat. Es war zu spät. Georg hatte den Kartoffelauflauf schon vor Stunden angekündigt.
Trudi verließ den Bahnhof und kehrte nebenan in die Imbißbude ein, die sie sonst mied, weil sie zu nah war. Sie stellte sich in die miefigste Ecke und hoffte, daß kein Bekannter sie sah. Schlang eine Currywurst hinunter. Das Brötchen ließ sie liegen.
Gegen sieben war Trudi wieder zu Hause. Ein Schwall von Düften kam ihr entgegen, als sie die Tür aufschloß. Käse. Knoblauch. Sie würden alles andere überdecken. Georg kam in den Flur und hielt die Gläser in der Hand. Er war bereit, die Drinks zu machen.
»Laß uns mal über Geld sprechen«, sagte Jos. »Hat irgend jemand im Verlag eine Ahnung, was du da schreibst?«
»Sie haben das Exposé längst abgelehnt«, sagte Georg.
Jos ließ die Zeichenmappe, die er auf Georgs Tisch legen wollte, auf den Teppich fallen. »Sag jetzt ›Du hast ja nicht danach gefragt‹, und ich springe dir an den Hals.«
»Es ist eben ein ehrgeiziges Werk. Einmal im Leben sollten wir uns das leisten.«
»Ich war von Anfang an dagegen. Das weißt du.«
»Warum machst du denn überhaupt mit? Doch nur, weil du denkst, daß Großes drin steckt.«
»Doch nur, weil ich denke, daß da ein Kind ist, das du unbedingt auf die Welt bringen willst.«
»Der alte Georg kriegt sonst kein Kind gezeugt. Also hilfst du ihm wenigstens bei dieser Geburt.«
»Hör auf mit der Kacke.«
»Warum schwängerst du nicht gleich Trudi?«
»Ich lebe seit vierundzwanzig Jahren damit, daß du ein verklemmter Kerl bist. Aber verschone mich bitte mit deinem Verfolgungswahn.«
»Verklemmt«, sagte Georg, »und verlogen.«
»Nein«, sagte Jos, »ein Lügner bist du nicht.«
»Ich belüge Trudi.«
»Du verträgst die Kreislauftabletten schlecht.«
»Ich nehme gar keine mehr.«
»Habt ihr Krach?« fragte Jos.
Georg schüttelte den Kopf. »Sie singt seit Tagen ganz lieb an irgendwelchen Lotterliedern herum. Gestern war sie für eine Stunde weg. Heute fehlt sie schon länger.«
»Also«, sagte Jos, »worin belügst du sie?«
»Besser gesagt, ich halte Informationen zurück.«
»Um Trudi zu schonen?«
Georg seufzte. »Heb mal deine Mappe auf, und setz dich endlich. Du hampelst mir schon die ganze Zeit vorm Tisch herum.«
Jos hob die Mappe auf und ging damit zu dem schwarzen Ledersofa. »Du solltest dich besser hier drauflegen«, sagte er, »obwohl ich eigentlich nicht an die seelenweitende Wirkung von Sofas glaube.«
»Setz dich. Du wolltest doch über Geld sprechen.« »Ich dachte, du seist kurz davor, Wahrheiten kundzutun.«
»Du weißt, wie Trudi ist. Sie hält die Wahrheit nicht aus.«
»Aber
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