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Das singende Kind

Das singende Kind

Titel: Das singende Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
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gelernt.
    Auf einen der Knöpfe drücken. Nach ihr fragen. Wohnt hier Cilly Weil? Wissen Sie etwas von Cilly Weil? Trudi skandierte die Wörter und sprach keines aus. Doch in ihrem Kopf hatten sie schon ein dröhnendes Echo. Sie hätte sich nicht hineinsteigern dürfen in die Hoffnung. Vielleicht hatte sie die Weil nur geträumt.
    Trudi drückte auf keinen der Knöpfe. Sie kehrte um und schleppte sich durch die Straßen zur U-Bahn-Station. Erst als sie da angekommen war, konnte sie vor sich zugeben, daß sie das Haus in seiner schäbigen Biederkeit enttäuscht hatte. Es roch kleinlich, wie Georg gelegentlich roch, wenn ihm seine Geschichte aus den Poren kam wie ein penetranter Schweißgeruch.
    Eine ferngesteuerte Trudi trat aus dem Fußgängertunnel und folgte dem Mann. Nicht fähig, über ihr Tun zu entscheiden oder nur festzustellen, was sie tat. Sie hielt eine Frikadelle in der Hand und erinnerte sich nicht, sie gekauft zu haben. Trotzdem kaute Trudi, als habe sie keinen Einfluß auf ihr Kauen. Setzte einen Fuß vor den anderen. Ging dem Mann nach, von dem sie nur wußte, was sie gerade sah, und es sah alles bestens aus an ihm und hatte den richtigen Schnitt und war von einer großen Billigkeit.
    Die Erkenntnis drang durch Trudis Tran und erstaunte sie so, daß sie stehenblieb und die Trostlosigkeit eines Busbahnhofs aufnahm und zu einem Entschluß kam. Sie holte zu großen Schritten aus und hetzte nach Hause. Schlich in die Wohnung und fand die Tür zu Georgs Arbeitszimmer geschlossen. Hinter der Tür war die Stimme von Jos zu hören. Trudi zog die Schuhe aus und schleuderte sie nicht gegen das Schränkchen. Nahm sie in die Hand und ging leise durch den Flur in das Schlafzimmer. Trudi öffnete die Türen ihres Schrankes und kroch in ihn hinein. Kauerte sich in das dunkle Nest aus herunterhängenden Hosen und ausgeleierten Pullovern. Atmete Fusseln ein und fing an zu weinen. Wartete darauf, daß Georg kam und sie herauszog und tröstete.
    Trudi hielt es eine halbe Stunde im Schrank aus. Dann war sie nicht länger bereit, das Tabu ihres Schrankes zu opfern. Um eines Trostes willen.
    Georg ahnte nicht, daß sie in der Wohnung war. Es wurde ihr klar, als sie in den Flur ging und die immer noch geschlossene Zimmertür sah. Trudi haßte ihn für sein fehlendes Gespür. Er half ihr in keiner Not. Trudi riß die Tür auf. Georg und Jos standen dicht beieinander. Hoben die Köpfe, die eben noch über den Tisch gebeugt waren. »Tut doch was«, sagte Trudi und schlug um sich, als erst Jos und dann Georg auf sie zukam.
    »Es schreit es eben heraus«, sagte Georg, »das ganze Elend, von dem es weiß. Es ist zuviel für die kleine Seele.« Jos sah auf die Zeichnung, die er gerade vom Singenden Kind gemacht hatte. Ein erster Entwurf, der Georg zu friedlich ausgefallen war. »Hört sich an, als ob du von Trudi sprichst.«
    »Trudi hat sich beruhigt. Sie liegt auf dem Bett und liest.«
    »Du kriegst einen Herzanfall. Trudi schlägt um sich. Ihr seid mit einem Bein in der Kühlschublade oder in der Klapsmühle, und dann kehrt ihr doch nur alles unter den Teppich.«
    Georg griff den Filzstift, den Jos auf den Tisch gelegt hatte. »Versuch es noch mal«, sagte er, »stell dir doch vor, daß das Kind laut schreit. Es kann den Druck nicht länger aushalten. Es muß einfach laut schreien.«
    »Ja«, sagte Jos, »ich stelle es mir vor.« Er nahm den Stift und sah sich nach der Kappe um.
    »Laß uns jetzt nicht aufhören«, sagte Georg, »wir sind so gut am Zug. Trudi hat selber gesagt, daß es ihr bessergeht. Es sind nur ihre Tage, die ihr zu schaffen machen.«
    »Ich könnte kotzen.«
    »Was willst du denn? Was sollen wir tun?«
    »Legt doch mal all den Dreck vor euch hin und guckt ihn durch.«
    »Welchen Dreck?« fragte Georg.
    »Beruflich geht bei euch beiden doch einiges den Bach runter.«
    »Ich bin überrascht von deiner Einschätzung«, sagte Georg. »Daß Trudi eine Bauchlandung getan hat, ist bekannt. Aber womit verdiene ich diese hoffnungsvolle Beurteilung?«
    »Du klammerst dich an eine hoffnungslose Idee.«
    »Ich dachte, du seist Künstler und könntest hinter dem Horizont auch noch was erkennen.«
    »Ich habe eher das Gefühl, daß du dich bestrafen willst.«
    »Stell es dir doch vor«, sagte Georg. »Ein Kind. Ein kleines Kind, das keine Muscheln sammelt und keine Steine, sondern die Greuel, die den Kindern dieses Jahrhunderts geschehen sind. Und es sammelt sie und singt von ihnen. Eine endlose Moritat.«
    »Hör auf«,

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