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Das singende Kind

Das singende Kind

Titel: Das singende Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
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Taschen zu stecken, und dabei das Gefühl gehabt, daß Grete Fortgang ihren Mann um so mehr verachtete. Des Entenfütterns wegen.
    Georg bog um die Ecke und hielt Ausschau nach Trudi, obwohl er sich vorgenommen hatte, es nicht zu tun. Doch Trudi war verschluckt vom Treiben des späten Nachmittags. Georg versuchte, nicht an Trudis Ziel zu denken. Er schwenkte den Korb, den er trug, und dachte an das, was er einkaufen wollte. Noch vor ein paar Monaten hätte er leicht sagen können, wohin sie ging. Als Georg in den Laden kam, zuckte sein linkes Augenlid.
    Der Laden war voll. Georg stand in einer Schlange und starrte in eine Kiste mit Pfirsichen. Es dauerte lange, bis er bedient wurde. Die zweite Verkäuferin fehlte. Er kaufte rosa Champignons und ein Pfund Pfirsiche und Zwiebeln und Kartoffeln auf Vorrat, damit das Warten sich gelohnt hatte. Es wurde alles in die Kasse getippt und zwischendurch vom Telefon geredet, das tot war, und auch das nahm Zeit. Georg sah an die Decke und zum Fenster hinaus und bemerkte Trudi, die sich davor drehte und dann hastig davonging. Zu einem Mann. Es konnte gar nicht anders sein.
    Trudi ging über die Steinplatten hin zu dem Haus, und diesmal lag das Stück Straße leer und friedlich da, und Trudi hatte Zeit für ihre Schritte, und es gelang ihr, auf keinen der Erdstreifen zwischen den Steinen zu treten, und so beschwor sie das Glück. Sie steckte die Hand in die Jeanstasche und tastete nach dem Talisman, der aus einem Kastanienbaum gefallen war. Ihr vor die Füße, kaum, daß sie die Wohnung verlassen hatte, um ein allerletztes Mal bei Cilly Weil anzurufen. Trudi hatte die haselnußkleine Kastanie aufgehoben, ihre haarige Hülle gestreichelt und sie noch in der Hand gewiegt, als sie schon in der Telefonzelle angekommen war.
    Vor der Kellertreppe standen die Mülltonnen. Trudi zwängte sich an ihnen vorbei und stieg hinunter. Es gab kein Namensschild. Nur eine Klingel, auf die sie drückte und die einen drängenden Ton hören ließ. Trudi senkte den Kopf und horchte in die Stille hinter der graugestrichenen Tür. Auf dem Boden lag ein fadendünnes rotes Stäbchen. Beinah hätte sie sich gebückt. Ein weiterer Fetisch für diesen Tag. Doch dann erkannte Trudi darin die Borste eines Besens und fühlte gleich einen Blick im Rücken und schaute nach oben. Die Fenster waren geschlossen. Nicht eine Gardine bewegte sich. Alles schien stillzustehen. In Unauffälligkeit erstarrt. Bis Trudi die kleinen eiligen Schritte hörte. Cilly Weil öffnete die Tür.
    Es war schon dunkel, als Georg das Omelett und die Champignons in Sahnesauce ins Klo schüttete. Vor einer Stunde noch war er entschlossen gewesen, damit zu warten, bis Trudi auftauchte, und es dann vor ihren Augen zu tun. Doch die Dämmerung hatte zu sehr an ihm gezerrt. Zehn Uhr vorbei und von Trudi kein Zeichen.
    Vor anderthalb Stunden hatte er das eigene Omelett gegessen, das zu dem Zeitpunkt auch schon überaltert war. Wie beschaulich war ein Leben gewesen, in dem die Eier für ein Omelett um zwei Minuten vor acht in die Pfanne kommen konnten, weil es nicht vorstellbar war, daß Trudi später als acht Uhr zu Hause eintraf.
    Georg hatte am Küchentisch gesessen und auf die leeren Teller geguckt und auf das lappige Essen auf der Platte und viel zuviel Sekt getrunken, den er schlecht vertrug. Georg wußte kaum noch, warum er die einzige Flasche geköpft hatte, die seit Monaten bei ihnen im Kühlschrank lag. Von Trudi aufgehoben. Für einen besonderen Anlaß. Vielleicht das Ausbleiben ihrer Tage.
    Der Magen schmerzte. Er schien sich völlig übergessen zu haben an dem Omelett. Georg ging zum Schreibtisch und schaltete die Lampe an, die an der Kante klemmte. Er sah auf das Foto, das eine Schar verhungerter Kinder zeigte, die ihre nackten Arme ausstreckten, um die eintätowierten Nummern vorzuführen. Georg schaltete die Lampe aus und öffnete das Fenster. Nachtgeräusche schon. Ein Frauenlachen. Autos, die anfuhren. Fernerab surrte die Bahn über die Brücke.
    Georg drehte sich dem Bücherregal zu und griff den Telefonhörer. Jos anrufen. Gerade gestern hatte er die Erkenntnis gehabt, daß ihm Geheimnisse nicht guttaten. Schon gar keine vor Jos. Georg ließ es klingeln. Warum hatte er geglaubt, Jos sei zu Hause und habe Zeit, ihm zu helfen. Ganz klar, daß er sich in einer Sommernacht mit einer Frau herumtrieb.
    Georg dachte an Dott. Ihre cremehellen Haare. Ihre kühle Haut. Eine Mondgöttin. Jos hatte eine Tube Deckweiß gebraucht, um Dott zu

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