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Das singende Kind

Das singende Kind

Titel: Das singende Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
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kunstledernen Kissen lösen können. Die kurzen Hosen und das Hemd waren voller Schwitzflecken gewesen, und als Georg aus dem Zimmer kam, lief Jos der Schweiß aus den lockigen Haaren.
    Hand in Hand waren sie auch nach Hause gegangen, und Jos hatte eine seltsame Euphorie erfaßt. Sein Vater lebte, und Georg würde ihn nie verlassen. In der Nacht breitete Georg seine Decken neben Jos' Bett aus und zog sich den ganzen schrecklichen Zorn seiner Mutter damit zu, und er las ihm Geschichten von liebenden Menschen vor, bis Jos eingeschlafen war.

Du hast immer so schön gesungen, schrieb Trudis Vater, und Trudi dachte, daß ihr der Brief den Todesstoß gab.
    Sie hatte schön gesungen. Die Gedanken sind frei. Ihr erstes Lied. Da war sie drei Jahre alt. Trudi sah ihre Eltern, wie sie am Abend vor dem Kinderbett standen, in dem sie kaum eine Nacht lang liegenblieb. Das Sommerlicht sickerte durch die Vorhänge, die zugezogen waren. Die Eltern sangen zweistimmig »Die Gedanken sind frei«, und Trudi tat es ihnen nach. Spieldosen gab es nicht an ihrem Bett. Die eigene Stimme ersetzte den mechanischen Klang. Sie konnte Trudi nicht umbringen.
    Die Gedanken sind frei, schrieb Trudis Vater. Deine Mutter und ich haben gestern noch lange davon gesprochen, als wir bei Giaume saßen, in unserer Bar. Du schreibst uns gar nicht mehr von Deinen Gesangsstunden. Denk daran, Du bist begabt. Bleibe bei der Musik, die Dir immer eine gute Begleiterin war.
    Er hatte noch etwas an den Rand geschrieben. Vom Banalen des Alltags, dem Trudi sich nicht opfern solle. Georg würde sagen, ihre Eltern säßen zu oft in Giaumes Bar. Trudi wußte, wie wenig das nötig war, um Hans und Hanni Lafleur in einen Rausch zu bringen. Doch sie verbarg den Brief vor Georg und fühlte sich so enttäuscht, als habe er die Worte ihres Vaters bereits niedergemacht.
    »Eine glückliche Fügung«, sagte Cilly Weil. »Ich habe Geld gefunden. Ich konnte die Telefonrechnung gestern bezahlen.«
    Trudi setzte zum nächsten Satz an, um vom vergeblichen Gang zu erzählen und vom Brief ihres Vaters, der sie noch mal Anlauf nehmen ließ. Doch sie war zu atemlos vor Überraschung, daß Cilly Weil sich gemeldet hatte. »Ich habe Sie nicht gefunden«, sagte sie schließlich und kriegte auch die paar Wörter nur gepreßt heraus.
    »Sie hätten in den Kellereingang gucken sollen. Ich lebe hinter den Mülltonnen.« Cilly Weil lachte ihr Glockengeklingel. »Sie sind so rührend aufgeregt, Kind. Kommen Sie doch gleich zu mir.«
    Trudi drehte sich zu der Uhr am Bahnhof um. Vor der Telefonzelle stand die Verkäuferin aus dem Gemüseladen, in dem sie kauften, und zeigte Trudi die abgezählten Groschen, die sie zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. Trudi war verständig. Bereit, das Gespräch mit Cilly Weil zu verkürzen. Vielleicht würde Georg sonst von stundenlangen Telefonaten zu hören bekommen, die sie in Zellen führte.
    »Was soll ich mitbringen?« fragte Trudi, und sie stellte sich ein schwarzes Kleid mit herzförmigem Ausschnitt vor, das sie im selben Augenblick an Cilly Weils Gesicht erinnerte. Trudi besaß gar kein solches Kleid.
    »Erst einmal nichts, Kind. Ich habe ja das Geld gefunden. Da brauchen Sie nicht gleich in der ersten Stunde zu bezahlen, und die Noten liegen bei mir in Stapeln auf dem Klavier.«
    »Ich bin bald bei Ihnen.« Trudi sagte es in einem Ton, der den Anfang einer Liebe getragen hätte. Sie ging aus der Telefonzelle und auf den Gemüseladen zu, um ihr Bild einzufangen, das die Fensterscheibe weich und unvollkommen wiedergab. Ein schwarzes Kleid mit Ausschnitt. Sie würde das Geld sparen, das ihr Vater in die Briefe tat.
    Trudi spiegelte sich. Betrachtete sich. Die Locken, auf denen Sonne lag. Die halb aufgeknöpfte Hemdbluse. Die Jeans. Trudi gefiel sich. Und sie platzte vor Erwartung. Es war ihr anzusehen.
    Georg hatte das Haus kurz nach Trudi verlassen. Es war nicht seine Absicht, ihr zu folgen, und er tat es auch nicht. Als er aus der Tür trat, war Trudi schon am Ende der Straße angekommen. Georg hob noch die Hand, um ihr zu winken. Doch Trudi bückte sich gerade und griff nach einem kleinen Gegenstand, der auf dem Boden lag.
    Georg haßte es, hinter anderen herzugehen. Seine Mutter hatte ihn lange Zeit gezwungen, die Spur des Vaters aufzunehmen. Georg sah ihn in Bars verschwinden und bei den Huren stehen und erzählte der Mutter vom Entenfüttern und von Gängen, die der Vater am Kanal entlang mache. Georg hatte damals angefangen, ihm altes Brot in die

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