Das singende Kind
malen. Er wollte sie Georg nicht ausspannen. Sie war einfach weitergegangen. Zu dem sonnendurchwärmten Jungen, der ihr mehr Leben einhauchte, als Georg es tat. Georg hatte gelacht, als Jos von Gewissensnot sprach. Es war doch zu Ende gewesen und er eher erleichtert, Dott los zu sein. Georg schüttelte den Kopf. Er wußte nicht mehr, ob es so gewesen war. Er hatte es verdrängt.
Jos, der Zampano. Georg, ein Zauberlehrling. Verdrängung. Immer mehr. Immer mehr Verdrängung. Bis sie ihm zum Halse stand. Der Sekt. Georg rülpste. Er hatte die Abtreibung bezahlt. Dott wollte kein Kind. Auch nicht von Jos. Ihr glatter weißer Bauch sollte sich nicht wölben. Ästhetin ohne Gnade. Dorothea, Geschenk Gottes. Ein Wunder, daß sie sich Dott nennen ließ. Ein Wunder, daß sie mit ihm auf die schmuddelige Matratze gegangen war.
Georg lauschte und ging zum Fenster zurück. Er stieß sich an der Ecke des Eichentisches. Kein Licht machen. Im Dunkel bleiben. Er hatte geglaubt, das Geräusch eines alten Citroën zu hören. Das unnachahmliche Knarren von Jos' Autotür, und Trudis Stimme. Georg lehnte sich aus dem Fenster. Die Straße lag still. Nur hinter den Fenstern gab es Geräusche. Fernseher.
Noch einmal Jos anrufen. Vielleicht hatte er sich nur einen der ekelhaften Hamburger geholt, die ihm auch nach zehn Uhr abends nicht im Magen lagen. Zwölf Rufzeichen. Dann legte Georg auf. Jos' Dachwohnung war nur vierzig Quadratmeter groß.
Schritte. Trudis Schritte, die über die Straße kamen und vor dem Haus hielten. Hatte er nicht gerade den DS davonfahren hören? Georg stand schon wieder am Fenster. Schaute hinunter und hielt den Atem an. Er wich zurück, als sie hochsah. Setzte sich schnell an seinen Schreibtisch und schaltete das Licht an. Er wollte ein Blatt Papier in die Maschine einspannen. Zu schreiben anfangen. Doch dann wurde ihm schlecht. Der Sekt. Als Trudi zur Tür hereinkam, stand Georg über das Klo gebeugt.
Eine Göttin ist das nicht grade mehr, hatte der Mechaniker gesagt und auf die Kühlerhaube des Citroëns geklopft, daß die Karosserie ins Schwanken kam. Jos hatte einen Scheck hingelegt, der nicht gedeckt war, und nur gewünscht, aus der Werkstatt zu kommen, ehe ihn die Schamröte überfiel. Er hoffte auf die Gnade der Bank.
Jos hatte den Schlüssel in das Zündschloß gesteckt, das Geräusch des Motors genossen und dann erst an Dott gedacht. Eine Göttin war sie für Georg gewesen, und doch hatte er es zugelassen, daß sie in dieses Auto stieg, um mit ihm davonzufahren. La Déesse. Man mußte den Menschen mißtrauen, wenn sie sagten, es mache ihnen nichts aus. Er hätte Georg keinen Glauben schenken dürfen.
Jos war nach Hause gefahren. Er hatte sich nicht lange aufgehalten dort. Nur ein Brot gegessen und ein Glas Wein getrunken und dann das Bild hinuntergetragen und in den Kofferraum geladen. Den kleineren der beiden Akte. Der Immobilienhändler hatte Interesse gezeigt. Das zyklamrote Zimmer gab Gesprächsstoff her. Lockerte die Kunden auf. Vielleicht noch eine Nackte, hatte er zu Jos gesagt. Es war nicht Dott, die da in Öl auf Leinwand leuchtete.
Jos hatte das Bild bei einem Assistenten abgegeben. Der Makler blieb hinter geschlossener Tür. Jos war rasch verabschiedet worden und mit der gleichen Beklemmung gegangen, die er von seinem ersten Besuch kannte, und mit der Stimmung kam ihm auch das Klavierspiel ins Gedächtnis, das damals aus dem Nachbarhaus gekommen war. Er schaute zu den Fenstern hoch, die heute tot aussahen. Als stünde das Haus leer. Wenn auch ein warmgelaufenes Jaguar Kabrio vor der Tür stand und nur dort hinzugehören schien. Jos hatte ihm die Hand aufgelegt. Um mal ein Jaguar Kabrio anzufassen.
Jos hatte schon den Weg zu Georg eingeschlagen, um ihn und Trudi aus dem Haus und in den Abend zu locken. Doch dann hielt er an der nächsten Telefonzelle an. Wollte Kontakt zu der Nackten aufnehmen. Ob sie ihm noch wohlgesinnt sei. Für einen kleineren Akt.
Georg holte den Haferschleim vom Herd und ließ ihn aus dem Topf in einen tiefen Teller laufen. Er stellte den Stieltopf ab und drehte sich der Küchentür zu, um in den Flur horchen zu können. Trudi hantierte immer noch vor dem großen Spiegel.
Er hatte sie nicht gefragt, wo sie gestern abend gewesen war. Sollte Trudi an seine Großzügigkeit glauben. Hoffentlich tat sie es und ahnte nicht, daß er aus Angst vor der Antwort still blieb.
Georg stellte den Teller mit dem Haferschleim auf den Tisch. Vor Trudis Teller lag eine
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