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Das singende Kind

Das singende Kind

Titel: Das singende Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
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das?« fragte Jos.
    »In Beaulieu hatten sie schon Hausverbot. Auf dem Küchentisch lag ein Brief. Noch ganz frisch.«
    »Glaubst du, daß es Selbstmord war?«
    »Nein«, sagte Georg, »glaube ich nicht. Das hätten sie Trudi nie angetan. Ich glaube eher, daß sie noch den großen Wurf machen wollten für Trudi. Versorgt bis ans Lebensende.«
    »Dafür hatten sie doch schon dich.«
    »Ich kann nur dankbar sein, daß sie die Sterbeversicherung nicht gekündigt hatten. Sonst müßte ich versuchen, einen Kredit zu kriegen, um alles zu bezahlen.«
    »Dann hör auf, den Künstler zu geben, und verdien' Geld«, sagte Jos.
    »Danke. Du verstehst dich auf ein gutes Wort.«
    »Weiß Trudi das von der Wohnung?«
    »Noch nicht.«
    »Du bist nicht gern der Überbringer von schlechten Nachrichten.« Jos bückte sich und kam unter der Schnur durch. »Ich sage es ihr, wenn ich auch mit der Geschichte von deinen Hoden rausrücken darf.«
    »Das tust du nicht. Das einzige, was Trudi noch hält, ist die Hoffnung, ein Enkelkind zum Himmel hochzuhalten.«
    »Und du schläfst jeden Tag mit ihr und tust so, als seist du dabei, eins zu zeugen.«
    »Erträgst du es nicht, daß ich mit Trudi schlafe?«
    »Was soll das?« fragte Jos.
    Georg zuckte die Achseln.
    »Ich bin nicht in der Stimmung, mich auf deine Verdächtigungen einzulassen«, sagte Jos.
    »Ich werde dich auch nicht fragen, warum du die Nächte hier in der Wohnung verbracht hast.«
    »Weil ich meinem alten Freund versprochen hatte, seine kleine Frau nicht aus den Augen zu lassen.«
    »Ich bin auch nicht in der Stimmung«, sagte Georg.
    »Wann kommen sie?«
    »Ende der Woche. Die Beerdigung ist am vierten.«
    »Bis dahin hast du Schonzeit. Kann ich dir noch was abnehmen?«
    »Ich hab nur Angst, daß Trudi mir zusammenbricht.«
    »Sie wird schon nicht ins offene Grab springen«, sagte Jos.
    »Ich komme in das Trauerhaus«, sagte Grete Fortgang, und sie ließ keinen Zweifel, daß sie sonst kaum ihren Fuß über Georgs Schwelle gesetzt hätte. Sie übersah ihn und gab nur Trudi die Hand und weigerte sich, den schwarzen Mantel auszuziehen, der zu warm war für den Septembertag. Sie setzte sich nicht auf den Stuhl, den Georg ihr zurechtrückte, sondern schritt die Zimmer ab, als suche sie nach den Spuren seines Abstiegs, und sah die Altäre, die Trudi aufgebaut hatte, und beschränkte ihr Kopfschütteln darauf.
    Georg hatte sie angerufen, weil er für jeden dankbar war, der mit ihnen hinter den Särgen herlief. Sogar für seine Mutter. Doch er hoffte, daß Jos aufkreuzte, um sie alle in sein Auto zu laden, obwohl es noch viel zu früh war. Er wollte lieber vor der Friedhofskapelle herumstehen, als Grete Fortgang noch einen Augenblick länger in der Wohnung zu ertragen.
    Einmal faßte sie ihn an. Versehentlich. Ihre Hand zuckte vor, wohl ohne daß sie es wollte, und sie zupfte eine Fluse von Georgs dunkelgrauem Anzug, an dessen Ärmel kein Trauerflor war. Auch das erregte ihren Ärger.
    Jos stand vor der Tür, und Georg fühlte die alte Liebe für ihn. Vielleicht weil er eine Viertelstunde zu früh kam. Doch auch der anthrazitfarbene Anzug rührte ihn, den Jos trug. Jos hatte ihn für Georgs und Trudis Hochzeit gekauft.
    Sie stiegen in den Citroën, und Georg wußte, was Trudi dabei dachte, und er dachte das gleiche. Er liebte sie, wie sie sich in ihrem dunkelblauen Kleid voller Margeriten an ihn drückte. Das Kleid war ihr zu eng geworden und spannte sich um ihren Körper. Ihr Vater hatte es ihr vor vielen Jahren gekauft.
    Trudi sprang in keine Grube. Sie stand alles gut durch. Doch sie legte die ganze Zeit ihre Hand auf den Bauch. Als glaube sie, schon werdendes Leben zu spüren.
    »Wir alle sterben.« Cilly Weil klappte den Klavierdeckel zu, als das Telefon klingelte. Sie stand auf und nahm den Hörer ab und drückte rasch die Hand auf die Gabel, um dann den Hörer neben das Telefon zu legen. »Ein Gläubiger«, sagte sie.
    Trudi räusperte sich und setzte an, das Lied doch noch einmal zu singen. Ohne Klavierbegleitung. Cilly Weil schüttelte den Kopf. »Das wird nichts mit Ihnen«, sagte sie, »weinen Sie sich zu Hause aus.« Sie sah zu Trudi hin.
    »Zu Hause.«
    »Ich halte es da nicht aus.«
    »Dann kommen Sie mit mir. Ich muß Geld auftreiben, oder haben Sie welches mitgebracht?«
    »Wenn ich das nächste Mal komme.«
    »O ja«, sagte Cilly Weil. Sie stellte sich vor ihren barocken Spiegel und legte die Hände auf die Enden ihrer kinnlangen Haare. Eine schwarzglänzende Kappe,

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