Das Skandalbett (II)
wartete sie, bis sie einigermaßen Luft geholt hatte und wieder zu Kräften gekommen war. Dann wandte sie ganz langsam und vorsichtig den Kopf und bekam gerade noch den Rücken des letzten Nachzüglers der Bande zu sehen, die enttäuscht und mit hängenden Köpfen den Rückzug antrat.
Wie schön! Inger hatte kurze Zeit wirklich Angst gehabt, aber als sie für einige lange Sekunden die körperliche Nähe anderer - völlig normaler - Menschen spürte, ließ ihre Furcht nach und wich wieder ihrer ursprünglichen hungrigen Sehnsucht nach einem Mann.
In dieser seelischen Verfassung blieb sie lange Zeit stehen, während sie einem schmalzigen Sänger zuhörte, aber als sie des blöden Gejammers dieses Schnulzenheinis müde geworden war, ging Inger langsam zu dem Platz, an dem die Reste des großen Frühlingsfeuers verglühten.
Um das Walpurgisfeuer herum erblickte sie noch einige Menschen, die paarweise das rote Schattenspiel betrachteten. Die meisten dieser späten Nachtschwärmer standen zu zweit und eng umschlungen da. Einige hatten sich hintereinander gestellt, während andere mit zärtlichem Griff Händchen hielten.
Aber eines hatten alle diese Menschen gemeinsam: den Blick, der auf die sacht verglimmende Glut gerichtet war, sich aber trotzdem irgendwo in der Ferne verlor, wo er nach einer ungewissen Zukunft suchte.
Von Zeit zu Zeit knackte es in den Überresten des noch vor kurzem so stolzen Feuers, und eine gelbliche Flamme züngelte in einem allerletzten Protest zum nachtblauen Himmel empor, weil sie sich dagegen auflehnte, so schnell zum Tode verurteilt zu sein.
Inger erschauerte, als ihre Einsamkeit ihr quälend bewusst wurde. Sie setzte ihren Weg zur großen Tanzfläche im Freien fort - mit Schritten, die anfänglich langsam und zögernd waren, als wäre sie für einen kurzen Moment wach geworden und als hätte sie begriffen, worauf sie zusteuerte, die aber dann sofort schnell und zielbewusst wurden.
Wenn sie sich nun einmal vorgenommen hatte, sich in dieser Frühlingsnacht völlig auszutoben und auszuleben, so sollte das auch geschehen - Zeit für Reue würde sie später noch genügend finden.
Sie hatte kaum den hellen Lichtkreis betreten, den die erleuchtete Tanzfläche ringsherum verbreitete, als sie hörte, wie jemand ihren Namen rief.
»Inger! Iiiiiiingeeeer!«
Sie drehte sich um und blickte suchend in die Runde, konnte aber nicht entdecken, wer nach ihr rief.
»Nein, hierher! Hier hinten!«
Da entdeckte sie einen hellen Arm, der sich über den Köpfen der Umstehenden hin und her bewegte. Der Schreihals musste sich ganz in der Nähe befinden.
Inger bahnte sich einen Weg durch die Menschenmenge, und als sie es geschafft hatte, entdeckte sie, dass Annette ihr zugewinkt hatte.
Genau jene Annette, die mit ihr zusammen eine Wohnung gemietet hatte, bevor Ulla eingezogen war. Inger und Annette hatten ihr Studium gemeinsam begonnen, aber Annette war nach kurzer Zeit abgesprungen, um sich stattdessen bei der Kunsthochschule einschreiben zu lassen. Sie hatte schon immer mit Stoffen arbeiten wollen und sich darum für das Fach Textildesign entschieden.
Nachdem sie umgezogen war, um ihrer neuen Hochschule näher zu sein, hatten sie und Inger einander versprochen, den Kontakt aufrechtzuerhalten. Aber wie gewöhnlich war das ein Versprechen gewesen, das im Interessenkonflikt zwischen Alltagspflichten und neuen, interessanten Bekanntschaften daran glauben musste.
Jetzt umarmten sie sich, und Annette zog Inger aus dem Gedränge mit sich.
»Stellen wir uns hierher, dann werden wir hoffentlich nicht gleich gestört«, sagte Annette und umfasste Ingers Schultern mit festem Griff. »Lass dich mal ansehen. Wie geht’s dir denn? Fühlst du dich einsam? Nun, weißt du, ich habe von anderen Leuten gehört, die ich hier zufällig traf, dass du mit Stig Schluss gemacht hast.«
Es stach einen kurzen Moment lang bei Inger, als sie den Namen Stigs hörte - womit mochte er sich jetzt gerade beschäftigen? -, aber sie schüttelte das unbehagliche Gefühl sofort ab und lächelte die Freundin an.
»Immer mit der Ruhe. Mir geht es ausgezeichnet. Aber wie steht’s denn mit dir? Gefällt es dir besser auf der Kunsthochschule?«
»Na und ob, gegenüber früher ist das gar kein Vergleich. Früher war ich nur da - jetzt lebe ich.«
Inger bekam zu hören, welchen Unterschied es für Annette bedeutet hatte, in eine Umgebung gekommen zu sein, in der sie sich völlig zu Hause fühlen konnte. Es folgte eine lange und begeisterte
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