Das Skript
diesem Jahn sprach, war das schon mehr als die bloße Begeisterung für einen Autor. Und dass sie bereits mehrfach …
»O Gott!«
Erdmann sah zu Matthiessen, die entsetzt auf das Buch starrte. »Was ist? Was ist los?«
»Schauen Sie sich das mal an.« Sie hielt das Buch so, dass er die aufgeschlagene Seite sehen konnte. Mit einem ersten, schnellen Blick konnte er zwar nichts lesen, aber er sah, dass der Textfluss auf der rechten Seite durch ein paar handschriftliche Wörter unterbrochen war. War es tatsächlich das, was er vermutete? Erdmann fuhr rechts ran und betrachtete die Buchseite genauer. Das, was dort abgedruckt war … Sein Verdacht hatte sich bestätigt. Es war exakt der gleiche Wortlaut wie auf dem gerahmten Stück Haut:
Der Leser
Kriminalroman
von
Anonymus
8
»Verdammt.« Georg Stohrmann klappte das Buch zu und warf es auf den Schreibtisch, vor dem Matthiessen und Erdmann standen. »Wissen Sie schon Näheres über den Inhalt? Ist es so, wie Diederich sagte? Wie genau stimmen die Fakten mit denen im Buch überein, und wie geht es im Text weiter? Müssen wir davon ausgehen, dass der Täter sich auch weiterhin an das Buch hält?« Er sah Matthiessen dabei direkt in die Augen. Sie hielt seinem Blick stand. »Wie Sie wissen, haben wir die Bücher eben erst bekommen.«
»Ja, Sie haben natürlich recht. Aber es hätte ja sein können, dass Sie schon während der Fahrt hierher darin gelesen haben, weil uns die Zeit davonrennt. Da habe ich wohl zu viel vorausgesetzt.«
Wieder eine dieser Spitzen. Erdmann war sicher nicht Matthiessens größter Fan, aber die Art, wie Stohrmann sich ihr gegenüber verhielt, war nicht in Ordnung. Was auch immer zwischen den beiden vorgefallen war, es gehörte nicht hierher. Er nahm sich vor, sie darauf anzusprechen. Sie arbeiteten zwar erst seit ein paar Tagen zusammen, aber immerhin waren sie ein Team.
»Ich habe zwei Kollegen an den Kölner Fall gesetzt«, sagte Matthiessen nun ungerührt. »Sie besorgen die Unterlagen und lesen sich online in den Fall ein. Der Täter ist damals nicht gefasst worden, es wäre also möglich, dass er Jahn nach Hamburg gefolgt ist und nun hier die Verbrechen des nächsten Romans nachstellt.« Und nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Hoffentlich hat der Autor sich bei der Anzahl der Opfer zurückgehalten.«
»Zumindest einen Vorteil haben wir.« Sowohl Stohrmann als auch Matthiessen sahen Erdmann fragend an, und er deutete auf das Buch. »Na ja, wir haben die Anleitung, nach der er vorgeht. Das heißt, wenn er sich wirklich genau an die Vorlage hält, wissen wir bald, was er als Nächstes tun wird.«
Matthiessen zog kurz die Mundwinkel nach unten. »Das hat den Kollegen in Köln damals offensichtlich nicht viel genützt.«
»Wissen Sie schon, wann genau das war?« Stohrmann sah Matthiessen dabei wieder an, und Erdmann hatte das Gefühl, Stohrmann hoffte, nein, er
wollte
, dass sie die Frage verneinte. »Wir sind am Ball«, antwortete er deshalb schnell. »Ich denke, die Kollegen müssten die Infos schon haben.« Stohrmann zögerte einen Moment, dann nickte er. »Also gut, bleiben Sie dran, wie Sie wissen, zählt jede Minute.«
Als sie nebeneinander den Flur entlang zum Treppenhaus gingen, sprach Erdmann das Thema an, obwohl er wusste, dass der Zeitpunkt alles andere als günstig war. »Was ist eigentlich mit Stohrmann los? Was hat er gegen Sie?«
»Wie kommen Sie darauf, dass er was gegen mich hat?« Es klang lange nicht so bissig, wie er es erwartet hatte, eher niedergeschlagen. Sie hatten das Treppenhaus erreicht, und er blieb stehen. »Ach kommen Sie, das ist ja wohl offensichtlich.« Matthiessen hielt an und wandte sich ihm zu. Eine gefühlte Ewigkeit sahen sie sich an, und sie schien darüber nachzudenken, was sie ihm anvertrauen konnte. Schließlich schlug sie die Augen nieder und betrachtete ihre Schuhe. »Das ist nicht mit ein paar Worten erzählt. Vielleicht ein anderes Mal.« Er hatte also richtig gelegen mit seiner Vermutung.
Als sie den Einsatzraum zwei Stockwerke tiefer erreicht hatten, empfing sie fieberhafte Geschäftigkeit. Die meisten Kolleginnen und Kollegen sammelten Infos zu Christoph Jahn und dem alten Kölner Fall, teils in der Datenbank, teils in Zeitungsberichten von damals. Drei weitere, unter ihnen auch Diederich, analysierten
Das Skript
, notierten alles, was für den Fall relevant erschien, lasen Online-Rezensionen und schrieben sich die Namen der Rezensenten auf.
Diederich berichtete,
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