Das Skript
lesen.
Der Nachtmaler
hielt sich einige Zeit auf der Beststellerliste, aber die Verkaufszahlen der anderen Bücher erhöhten sich nur ganz kurz ein wenig, dann war der Rummel vorbei.«
»Stimmt es, dass Sie danach mit dem Schreiben aufgehört haben?«, fragte Matthiessen.
»Nicht gleich, ich hatte gerade erst mit
Das Skript
begonnen und musste meinen Vertrag erfüllen. Aber als ich das Manuskript dazu fertig hatte, war Schluss. Sie können sich wahrscheinlich nicht vorstellen, was es bedeutet, wenn Dinge, die der eigenen Phantasie entsprungen sind, plötzlich auf so grausame Weise Realität werden. Einerseits zeigt es natürlich, dass diese Taten so interessant sind, dass sie sogar nachgeahmt werden, andererseits – diese Frau in Köln könnte heute noch leben, wenn ich nicht die Anleitung zu dem Mord an ihr geliefert hätte. Nein, ich wollte und konnte danach nicht mehr schreiben. Der Gedanke, es könne vielleicht wieder jemand auf die Idee kommen, eines meiner Bücher als Vorlage für ein Verbrechen herzunehmen, war einfach zu schrecklich.«
Erdmann sah ihn ernst an. »Und doch ist genau das offenbar gerade geschehen.«
Jahn fuhr sich mit gespreizten Fingern durch die grauen Haare. »Gott, das ist einfach fürchterlich.«
»Sagt Ihnen der Name Peter Dorscher etwas?«
»Ja, natürlich. Diesen Namen setzt der Täter in
Das Skript
als Absender der Päckchen ein.«
»Nicht nur im Roman, auch in der Realität. Herr Jahn, wir brauchen dringend Ihre Hilfe.«
Jahns Kopf fuhr hoch. »Meine Hilfe? Ich bin Schriftsteller, kein Polizist. Und wie sollte diese Hilfe denn aussehen? Möchten Sie, dass ich Ihnen sage, was Sie als Nächstes tun sollen?«
»Nein, es würde uns schon genügen, wenn Sie Ihr Buch gedanklich Schritt für Schritt durchgehen und dabei überlegen, was uns helfen könnte, diesen Irren zu fassen. Wie gesagt – Sie wissen das wahrscheinlich am besten, Sie haben das Buch geschrieben.«
»Ja, leider, muss man in diesem speziellen Fall wohl sagen. Also gut, wenn Sie es möchten, dann helfe ich Ihnen.«
»Fangen wir doch damit an, dass Sie uns sagen, was der Täter in Ihrem Roman als Nächstes unternehmen wird. Tut er etwas, bei dem wir ihm zuvorkommen können?«
Jahn dachte angestrengt nach, dabei rieb er sich unentwegt mit der Hand über die Barthaare am Kinn. »Hm … Die Frauen, die in meinem Roman entführt und getötet werden, sind allesamt Mitte bis Ende zwanzig, und es fällt bei diesen Frauen meist nicht sofort auf, wenn sie verschwinden, weil sie allein leben.« Wieder strich er sich mit der Hand über die kurzen Barthaare. »Und weiter hinten im Buch stellt sich heraus, dass zu dem Zeitpunkt, als das erste Päckchen, also das mit dem Titel des Buches, bei der Zeitungsredaktion ankommt, schon drei Frauen entführt worden waren. Der Täter macht das, weil … na ja – Er legt sich einen Vorrat an, weil auch das oberflächliche Gerben der Haut mit Aufwand verbunden ist und einige Zeit in Anspruch nimmt, er aber jeden Tag zwei neue Romanseiten veröffentlichen möchte. Wenn sich der reale Täter also wirklich genau an mein Buch hält, dann hat er bereits jetzt mehrere Frauen in seiner Gewalt. Und er wird ab jetzt jeden Tag eine von ihnen töten, ihnen die Haut vom Rücken schneiden und so bearbeiten, dass er sie aufspannen und darauf schreiben kann.«
»Das bestätigt unseren Verdacht, dass der reale Täter bereits jetzt mehrere Frauen gefangen hält«, sagte Matthiessen an Erdmann gewandt. »Und bereits eine von ihnen getötet hat.«
»Das ist aber leider nicht alles«, fuhr Jahn zögernd fort. »Im Buch …« Er brach ab.
»Was meinen Sie?« Erdmann wurde immer ungeduldiger.
»Im Buch hat er auch die nächste Frau schon getötet, er wird sie am Tag nach ihrem Tod, also morgen, präsentieren. Und immer bevor er eine der Frauen umbringt, sagt er zu ihr:
Jetzt wirst du sehen
, weil aus seiner Sicht alle, die sein Manuskript abgelehnt haben, nicht sehen.«
»Wo wird er die Leiche ablegen?«, fragten Erdmann und Matthiessen fast gleichzeitig.
»Hm … Mitten durch Kirstheim, also der Stadt, die ich für meine Romane erfunden habe, schlängelt sich ein schmales Flüsschen, über das an zwei Stellen Brücken führen. Unter einer dieser Brücken legt er sie ab.«
»Na wunderbar«, sagte Erdmann resigniert. »Das passt ja prima in der brückenreichsten Stadt Europas.«
Jahn sah ihn verwundert an. »Sie sagen das so vorwurfsvoll, als sei ich schuld daran, dass der Verrückte sich
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