Das Skript
»Wollen Sie mir jetzt erzählen, was zwischen Ihnen und Stohrmann los ist?«
Sie umschloss mit beiden Händen das Wasserglas und starrte es an wie eine Kristallkugel. »Warum interessiert Sie das so sehr? Sie haben mir schon mehr als einmal deutlich signalisiert, was Sie von mir halten und davon, dass ich in der BAO Ihre Vorgesetzte bin. Warum sollte ich ausgerechnet Ihnen private Dinge erzählen?«
»Weil wir Partner sind, und weil Stohrmann unser gemeinsamer Vorgesetzter ist. Weil ich merke, dass das, was da zwischen Ihnen läuft, unsere Arbeit beeinflusst. Weil ich denke, dass ich deshalb ein gewisses Recht darauf habe zu erfahren, was los ist und wie sehr sich das noch auf unseren Dienst auswirken kann. Verstehen Sie das?«
Sie wurden von dem Kellner unterbrochen, der den Salat und die dampfende Pizza brachte und vor ihnen abstellte. Als sie wieder alleine waren, sagte Matthiessen: »Ich verstehe schon, was Sie meinen, Herr Erdmann, aber …«
»Wie wäre es mit einer Anrede, wie sie unter Kollegen üblich ist?«
Sie hielt inne und sah ihn eine Weile an, mit diesem nüchternen, abschätzenden Blick, den er an ihr vom ersten Tag an nicht gemocht hatte, den er jetzt aber gelassen über sich ergehen ließ. »Ich wundere mich«, sagte sie schließlich, und dabei huschte tatsächlich der Anflug eines Lächelns über ihr Gesicht. »Ich dachte, Sie mögen mich überhaupt nicht.«
Erdmann grinste. »Wer sagt, dass Sie sich geirrt haben?« Dann hob er das Wasserglas. »Also, wie sieht es aus? Andrea?« Auch Matthiessen griff nach ihrem Glas und hielt es dicht vor seines. »Gut, Stephan …«
»Auf dass wir diesen Irren schnell zu fassen bekommen.« Sie tranken einen Schluck, als hätten sie gerade mit Sekt angestoßen, und widmeten sich dann ihrem Essen.
»Wie ist das nun mit dir und Stohrmann?«, fragte Erdmann, nachdem er seine Pizza in Achtel geschnitten hatte wie einen Kuchen. »Warum verhält er sich dir gegenüber so seltsam?«
Matthiessen atmete tief durch. »Also gut, in der Kurzfassung: Als ich vor rund zehn Jahren zur Kripo kam, wurde ich erst mal einem erfahrenen Beamten zugeteilt, du kennst das ja. Er war sehr nett und hat sich geradezu rührend um mich gekümmert. Ich habe in kurzer Zeit sehr viel von ihm gelernt, und es war ein beruhigendes Gefühl, ihn als Partner zu haben. Ich wusste, ich konnte mich zu jeder Zeit auf ihn verlassen. Als wir etwa vier Monate zusammenarbeiteten, gingen wir in einem Mordfall einem Tipp aus der Bevölkerung nach. Wir überprüften einen Mann aus Dulsberg, dessen Fahrzeug angeblich zur angenommenen Tatzeit in der Nähe des Tatortes gesehen worden war. Als der Mann uns die Tür öffnete und hörte, wer wir waren, war er sehr freundlich und bat uns hereinzukommen. Wir … wir haben ihn beide falsch eingeschätzt. Im Wohnzimmer war er plötzlich hinter mir und zog meine Waffe aus dem Gürtelholster. Er muss sich mit Waffen ausgekannt haben, denn bevor mein Partner reagieren konnte, hatte er sie entsichert und auf ihn geschossen. Ich weiß nicht, warum er sich damit begnügte, aber ich hatte das Glück, dass er mich nur niederschlug, bevor er flüchtete. Ein paar Tage später wurde er bei einer Straßenkontrolle in Bremen gefasst. Mein Partner war schwer verletzt. Er starb zwei Tage später an den Folgen der Schussverletzung.« Sie stieß ihre Gabel in die Salatblätter und streifte sie wieder ab. »Es gab natürlich eine Untersuchung. Ich wurde entlastet, nicht zuletzt durch die Aussagen meines Partners, die er noch vor seinem Tod gemacht hatte.« Wieder stocherte sie in ihrem Salat herum. »Das tut mir leid«, sagte Erdmann und ließ einen Moment verstreichen, bevor er fragte: »Und auf welche Weise hatte Stohrmann damit zu tun?«
Matthiessen hob den Kopf und sah ihn aus feucht glänzenden Augen an. »Mein Partner damals, der Mann, der mit meiner Waffe erschossen wurde, hieß Dietmar Stohrmann. Er war Georg Stohrmanns älterer Bruder.«
»Shit«, entfuhr es Erdmann, und mit einem Mal konnte er nicht nur das Verhalten des BAO -Leiters einordnen, er glaubte nun auch den Grund für Matthiessens Pedanz zu kennen, wenn es um Dienstvorschriften ging, und ihren Ergeiz, alles zu einhundert Prozent richtig zu machen. »Aber wenn doch selbst dein Partner dich damals entlastete …«
»Georg Stohrmann warf mir trotzdem vor, dass ich schuld am Tod seines Bruders sei, und genaugenommen hatte er ja auch recht. Hätte ich besser aufgepasst …« Sie trank einen Schluck Wasser.
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