Das Skript
morgens am Frühstückstisch an, während sie auf den Fernseher starrte, der auf der Arbeitsplatte neben dem Toaster stand, und sagte: »Ich möchte, dass wir uns trennen.«
Es dauerte eine Weile, bis sie ihre Augen vom Bildschirm löste, wo irgendeine Soap lief, und ihn lange ansah. So lange, dass in ihm die Hoffnung aufkeimte, sie würde zumindest versuchen, ihn davon abzuhalten, ihn zu überzeugen, dass es ging, wenn sie sich beide zusammenreißen und aufeinander zugehen würden. Aber irgendwann öffnete sich ihr rotgeschminkter Mund und sagte: »Aber ich bleibe in der Wohnung.«
Die Mappe auf dem Tisch sprang ihm ins Auge, und er zwang sich dazu, die Gedanken an Julia zur Seite zu schieben, so, wie er es fast immer tat.
Der Kölner Fall. Ungelöst. Vielleicht fand er etwas, das sie im aktuellen Fall weiterbrachte. Vielleicht sogar etwas, das Matthiessen nicht entdeckte. Matthiessen. Seit diesem Nachmittag hatte sich sein Bild von ihr etwas gewandelt. Das, was sie ihm erzählt hatte, machte ihr Verhalten zumindest erklärbar, auch wenn er nach wie vor der Meinung war, dass man alles, auch die Pedanterie bei der Befolgung der Dienstvorschriften, übertreiben konnte. Und auch, wenn er noch immer der Meinung war, dass er mindestens ebenso gut für die stellvertretende Leitung einer BAO qualifiziert war wie Andrea Matthiessen. Aber letztendlich hatte sie es sich nicht ausgesucht. Wahrscheinlich hätte sie liebend gerne mit ihm getauscht. Er dachte darüber nach, ob er sie nun sogar mochte, aber so weit wollte er doch noch nicht gehen. Nach einem weiteren Schluck zog er die Schuhe aus, griff sich die Mappe und lehnte sich bequem zurück.
Gleich zuoberst lagen mehrere Fotos des Opfers, die Erdmann mit einer Mischung aus Abscheu und Verwunderung betrachtete. Die Frau war nackt, aber von ihrer Haut war kein Zentimeter zu sehen. Ihr gesamter Körper war bunt bemalt, und so, wie es auf den Detailfotos aussah, war Ölfarbe benutzt worden. An manchen Stellen, zum Beispiel dort, wo die Brustwarzen der Frau sein mussten, war die Farbe so dick aufgetragen, dass von den eigentlichen Konturen nichts mehr zu sehen war. Realistische Motive waren auf dem Körper der Frau keine erkennbar, es handelte sich wohl um eine Art abstrakte Malerei, wirre, psychedelische Formen, miteinander verschlungen, ineinander verlaufend.
Erdmann legte die Fotos zur Seite und überflog den Tatortbericht. Das Opfer war in einer kleinen Seitengasse gefunden worden. Sie hatte auf dem Gehweg gelegen, die Arme und Beine weit vom Körper abgespreizt, wohl, damit die Farbe nicht verschmierte.
Im Obduktionsbericht stand, dass es eine Gewalteinwirkung mit einem stumpfen Gegenstand, einer kurzen Eisenstange, die in der Nähe der Leiche gefunden worden war, auf den Kopf gegeben hatte. Daran war das Opfer allerdings nicht gestorben. Sie war erwürgt worden. Hinweise auf einen sexuellen Hintergrund der Tat gab es nicht.
Auf einer weiteren Seite konnte er nachlesen, dass die Kölner Ermittler anhand der Blutspuren davon ausgegangen waren, dass die Frau am Fundort auch getötet worden war. Der Täter hatte ihr wahrscheinlich im Dunkeln aufgelauert, sie von hinten niedergeschlagen und dann erwürgt, als sie bewusstlos am Boden lag. Danach hatte er sie entkleidet und bemalt. Nach Schätzung von Experten musste er dafür mindestens eine halbe Stunde gebraucht haben. Erdmann fragte sich, wie man es fertigbrachte, eine Frau erst umzubringen und dann den nackten Körper noch eine halbe Stunde lang auf einer öffentlichen Straße zu bemalen.
Er legte das Blatt zur Seite und stutzte. Auf der nächsten, engbeschriebenen Seite war ein Großteil des Textes kursiv gedruckt. Es handelte sich um einen Auszug aus Christoph Jahns Roman
Der Nachtmaler
, die Stelle, an der der Mord beschrieben wurde:
Es war kurz nach Mitternacht, als der Maler sich auf den Weg machte. Den ganzen Tag hatte er die Inspiration gespürt wie ein körperloses Ziehen, das alle Gedanken noch ungedacht von ihm absaugte und seinen Geist so in einen wortlosen, reinen Zustand der Kreativität versetzte.
Alltägliche Dinge waren in den Hintergrund getreten. Er hatte nicht an Essen gedacht und nicht an Trinken, nur dagesessen und geduldig auf die Dunkelheit gewartet.
Er war bereit für ein neues Meisterwerk.
Der Maler arbeitete nur nachts.
Wenn die düstere Atmosphäre spärlich beleuchteter Gässchen sich auf ihn legte, war sie die Muse, die ihn mit blassen Lippen küsste.
Es war, als hülle die
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