Das Skript
gerade so weit, dass sie ihn drehen konnte. Sie musste sehen, was dort auf der anderen Seite passierte. Beim Versuch, das Gesicht auf die andere Seite zu drehen, stieß sie mit der Nase so heftig auf die Liege, dass ihr Tränen in die Augen schossen. Sie wunderte sich, dass es in ihrem Körper noch Flüssigkeit für Tränen gab, während sie die linke Wange auf der Liege ablegte. Das Monster war fertig. Die Frau stand vor der Wand, beide Arme mit Seilen nach oben gebunden. Eine dünne Schlinge um den Hals zwang sie dazu, den Rücken durchzudrücken, das Becken wurde mit einer Kette gegen die Wand gedrückt.
Das Monster kontrollierte noch einmal Seile und Kette, dann wandte es sich ihr zu. War es jetzt so weit? Ihre Kehle schnürte sich zu, die Angst raubte ihr fast die Sinne. Das Monster setzte sich in Bewegung, kam auf sie zu und … und drehte ab, kurz bevor es sie erreicht hatte. Nur einen Augenblick später hörte sie hinter sich das Geräusch der zuschlagenden Tür. Sie waren allein.
Die Frau versuchte sofort hektisch, sich zu bewegen, gab es aber gleich wieder auf, als sich die Schlinge sichtbar in die Haut ihres Halses drückte. Sie verharrte, sie röchelte dumpf unter dem Klebeband, stellte sich auf Zehenspitzen, um den Druck der Schlinge zu lockern.
Sie
kannte das und konnte sich gut an das Gefühl erinnern, das die Frau nun haben musste.
Sie wollte ihr sagen, dass es besser war, ganz still zu stehen, solange es eben ging, aber aus ihrem Mund kam kein einziger Laut. Sie wusste nicht einmal mit Bestimmtheit, ob ihre Lippen sich überhaupt bewegt hatten.
Dafür sagte die Frau etwas. Das Klebeband ließ es sehr dumpf klingen, aber es schien ihren Mund nicht richtig fest zu verschließen. Was sie sagte, klang wie: Ina Hak-man.
29
Matthiessen und Erdmann wollten noch schnell einen Blick in den Einsatzraum werfen, bevor sie zu Stohrmanns Büro gingen. Allerdings konnten sie dessen laute Stimme bereits hören, noch bevor sie die Tür zum Einsatzraum geöffnet hatten. Der Gang zu seinem Büro würde sich also erübrigen.
Sie waren gerade eingetreten, als Matthiessens Handy klingelte. Sie sah auf das Display, zog die Brauen hoch und ließ ihren Blick durch den großen Raum schweifen. Auf einem der Kollegen, der mit dem Hörer am Ohr an einem der Schreibtische saß, blieb er hängen. Stohrmann stand hinter ihm. Als er Matthiessen entdeckte, klopfte er dem Mann auf die Schulter. »Hat sich erledigt, da ist sie.«
»Jahn hat gerade hier angerufen«, sagte er, während sie auf ihn zugingen. »Er war sehr aufgeregt und hat was von Hausfriedensbruch erzählt und von Drohungen, die gegen ihn ausgestoßen worden seien. Raten Sie mal, wer ihm gerade einen Besuch abstattet?«
»Keine Ahnung, wer?«, fragte Erdmann, um die Sache abzukürzen.
»Ihr Freund Christian Zender.«
»Was zum Teufel –«, setzte Erdmann an, wurde aber von Matthiessen unterbrochen. »Haben Sie jemanden vom Observierungsteam zu ihm geschickt?«
Stohrmann schüttelte in einer theatralischen Geste den Kopf. »Das hätten
Sie
wahrscheinlich getan, Frau Matthiessen, nicht wahr? Und ihm damit verraten, dass er beschattet wird. Ich habe selbstverständlich
niemanden
aus dem Team zu ihm beordert, sondern einen Streifenwagen.«
»Sie haben mich falsch verstanden, Herr Hauptkommissar.« Matthiessens Stimme klang unpersönlich und kalt. »Was ich meinte, war: Haben Sie
etwa
jemanden vom Observierungsteam zu ihm geschickt. Es beruhigt mich aber, dass Sie es nicht getan haben.«
Erdmann warf ihr einen überraschten Blick zu. Endlich begann sie, sich gegen Stohrmann zur Wehr zu setzen. Der schien nicht minder verwundert zu sein. Es dauerte eine Weile, bevor er ihr antwortete, und Erdmann entgingen nicht die verhalten grinsenden Gesichter hinter ihm.
»So, Sie … Wie auch immer. Ich habe den Kollegen von der Streife jedenfalls gesagt, sie sollen dort mit ihm auf Sie warten. Fahren Sie hin und sehen nach, was da los ist. Dieser Zender fängt an, äußerst lästig zu werden. Machen Sie ihm klar, wenn wir noch mal einen Anruf seinetwegen erhalten, hat er eine Menge Ärger am Hals.«
Noch bevor sie die Tür erreicht hatten, rief er ihnen hinterher: »Ach, Moment, wo wir gerade bei Herrn Jahn sind, da ist noch was.« Er ging zu einem der Tische, nahm ein Blatt Papier, das dort lag, und sah es sich an. »Diese Zeitung, die die ganze Sache heute Morgen so reißerisch präsentierte, hat den Tipp per Mail bekommen, von irgendeiner Phantasieadresse. Über
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