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Das Sonnentau-Kind

Das Sonnentau-Kind

Titel: Das Sonnentau-Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Luepkes
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hast du meine Adresse?»
    «Naturschutzgebiet, Moor, Großes Meer … das hast du alles gestern so ausführlich beschrieben, ich fand, es klang irgendwie nach Einladung.»
    Jakob überlegte, sie auf möglichst unfreundliche Weise hinauszuschmeißen. Er war doch nicht blöd. Dieses Mädchen war absolut nicht der Typ, auf den er stand, und noch viel weniger konnte er sich vorstellen, dass sie tatsächlich seinetwegen gekommen war. Geschweige denn wegen des Moores. Diese – ja wie hieß sie denn noch? – war eine Discomaus, sie stand wahrscheinlich eher auf Muckibudenbesitzer mit gegelten Haaren und lief auch sicher nicht freiwillig mit ihren hochhackigen Schuhen durch die Natur. Da war was faul. Sie war wegen etwas anderem gekommen. Aber warum? Bevor er sie zum Teufel schickte, wollte er diese Frage lieber beantwortet wissen. Es konnte schließlich sein, dass … Nein, woher sollte dieses Mädchen von seinem Vater wissen? Und warum sollte sie sich dafür interessieren?
    Er rief sich zur Ordnung, band sich die Bettdecke wie einen Rock um die Hüfte und ging zur Tür. «’tschuldigung, ich hab noch gepennt. Warte mal einen Augenblick.» Dann verschwand er in Richtung Badezimmer.
    Zwei, drei Ladungen eiskaltes Wasser mitten ins Gesicht waren nötig, damit Jakob wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Er blickte sich im Spiegel an. Oft blieb ihm dabei die Spucke weg, wenn er sich selbst betrachtete. Er war die lebendigste Erinnerung an seinen Vater, besonders jetzt, er war ja nur noch wenige Jahre jünger, als Andreas Isselmeer damals gewesen war. Es gab nur wenige Fotos von seinem Erzeuger, aber auf denen sah er ihm wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich. Die Augen, bei hellerem Licht schimmerten sie türkis. Ein feines, sommersprossiges Gesicht, Milchbubivisage, hatte mal eine Klassenkameradin gesagt, als er sich noch nicht den dunkelblonden Ziegenbart hatte wachsen lassen. Dieser lenkte etwas von den sanften Zügen, den hohen Wangenknochen und dem lockigen, rotblonden Haar ab. Jakob wusste, er hatte niemals das Zeug zum Frauentyp, doch darauf legte er ehrlich gesagt auch keinen Wert.
    Jakob zog sich die Trainingsjacke über das Schlafshirt, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, spülte kurz den Mund aus. Im Hinausgehen streifte er sich die Jogginghose über die Beine. Er sah aus, wie er sich fühlte: ziemlich daneben. Aber das war egal. Allzu lange wollte er seinen Damenbesuch nämlich nicht im Zimmer allein lassen. Wer weiß, ob diese – ja, genau, Anivia war ihr Name – inzwischen neugierig seine Sachen durchwühlte auf der Suche nach irgendetwas. Doch er täuschte sich. Sie stand am Fenster und schaute nach draußen, das Kind auf ihrem Arm tatschte gegen das Glas, und sie erklärte im singenden Plauderton, was man alles durch den Grauschleier auf der Scheibe sehen konnte. «Einen Baum, ganz viel Gras, einen Vogel …»
    «Warum bist du wirklich gekommen?», fragte er direkt. Was sollte er sich mit umständlichem Smalltalk aufhalten? Er hatte keine Lust, so zu tun, als freue er sich über ihre Anwesenheit in diesem Zimmer.
    Sie drehte sich um, und irgendwie hatte er den Eindruck, dass auch sie froh war, sich auf kein Geplänkel einlassen zu müssen. «Ich bin wegen Aurel hier. Wegen seines Todes. Ich glaube nicht, dass er sich umgebracht hat. Und darüber wollte ich mit dir reden.»
    «Ach so.» Er reichte dem kleinen Kind das Glas, in dem er Büroklammern aufbewahrte. Wie eine Rassel, wenn man es schüttelte, vielleicht hielt es die Patschehände ja davon ab, größeren Schaden anzurichten. Sofort wurde es in den Mund geschoben, vier weiße Zähnchen versuchten, in den Deckel zu beißen. Da sein Stuhl mit Kleidungsstücken voll gepackt war, setzte sich Jakob auf die Bettkante. «Warum willst du ausgerechnet mit mir darüber reden? Ich habe dir doch gesagt, ich kannte diesen Typen kaum.»
    «Aber du warst auf seiner Abschiedsparty eingeladen.»
    «Ja, aber da waren auch zig andere Leute, die dir über Aurel sicher mehr erzählen können als ich.»
    «Du bist anders als die. Die meisten kannten ihn aus dem Sprachkurs, aus dem Galaxy, durch die Familie und so. Aber du, wie sagt man in Deutschland, springst aus der Linie …»
    «Tanzt aus der Reihe.» Er musste ein bisschen lachen. «Na ja, damit hast du vielleicht recht. Dennoch brauchst du dir davon nichts zu versprechen. Ich traf Aurel mehrmals bei meiner Arbeit, wir kamen ins Gespräch, weil er verbotenerweise mit dem Rad durch das Moor gefahren ist.

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