Das Sonnentau-Kind
Im Grunde mochte er ihren Eifer ja. Und im letzten Jahr, seit sie in den Mutterschutz gegangen war, hatte Wencke Tydmers in dieser Abteilung an allen Ecken und Enden gefehlt. Doch hier und heute war es zu viel des Guten. Es war besser, wenn sie diese Tatsache so schnell wie möglich begriff.
Vielleicht sollte er sie als Trostpflaster am Wochenende mal wieder zum Essen in die Altstadt, am liebsten ins Twardokus, einladen. Gut, sie würde ihm deswegen nicht gleich aus der Hand fressen. Er amüsierte sich geradezu über sein gelungenes Wortspiel, aber …
«Axel Sanders, warum grinst du so unverschämt?»
«Ich grinse?»
«Bis über beide Ohren.» Sie hatte die Hände auf den Schreibtisch gestemmt, es sah aus, als wolle sie das schwere Massivmöbel verschieben und ihn samt Chefsessel gegen die Regalwand dahinter quetschen. Er erinnerte sich, dass dies ja eigentlich ihr Platz war und er quasi bis zu Wenckes gänzlicher Rückkehr nur den Stuhl warmhielt. Aber er erinnerte sich nur sehr kurz. Denn heute war heute und hier war hier.
«Jetzt ist es aber gut. Schluss mit dem Thema. Ich möchte dich bitten, Greven und Strohtmann etwas Hilfestellung zu geben. Sie beschäftigen sich mal wieder mit dem Penny -Fundament.»
«Mit dem alten Fall?»
Wencke hatte recht. Diese Sache mit dem verschwundenen Mann aus Berum lag etliche Jahre zurück, die mutmaßlichen Mörder waren schon längst hinter Gittern, nur von dem Opfer fehlte noch immer jede Spur, und man munkelte hartnäckig, die Leiche sei damals in das Fundament des Berumer Penny -Marktes eingearbeitet worden. Daher auch der Titel, mit dem die Kollegen den Fall beim Namen nannten. Hin und wieder gab es neue Hinweise, denen man nachgehen musste, bislang jedoch immer ergebnislos. So hatte sich in der Abteilung der Begriff «Penny- Fundament» leider schon längst zu einem Synonym für sinnlose Zeitverschwendung entwickelt. Kein Wunder, dass Wencke stöhnte.
«Du könntest die neuen Hinweise in die Akte einarbeiten. Soweit ich weiß, hat Greven bereits ein Protokoll erstellt.»
«Willst du mich ärgern?»
Nun war es genug, entschied Axel Sanders, und es fiel ihm schwer, nicht mit der Faust auf den Tisch zu hauen, um seiner Autorität zusätzlichen Ausdruck zu verleihen. «Hier wird niemand geärgert, verdammt nochmal. Unser Job besteht aus mehr als nur Detektivspielen, und du solltest dich auch noch daran erinnern können.»
«Aber …»
«Nein, ich will dieses Wort nicht mehr hören. Die Unterlagen findest du auf deinem Schreibtisch, dort warten sie übrigens schon seit gestern Abend. Also …»
«Und Aurel Pasat?»
«Schluss damit!»
Sie warf die Tür zu. Wie auch immer sie das machte, eigentlich verfügte sein Büroeingang über eine Schalldämpfung und ließ sich nur langsam und schwerfällig öffnen und schließen. Doch Wencke schaffte es, ihre Wut an seinem klobigen Türblatt auszulassen, und der Knall hallte über den Flur der Auricher Kriminalpolizei wider.
«Wencke, wollen wir morgen zusammen essen gehen?», fragte Axel Sanders den leeren Stuhl gegenüber.
Gelände des Moormuseums geschäftiges Treiben
Der Container wurde von vier kräftigen Männern auf dem unebenen Boden in Richtung Wiese gezogen. Marianne, die freundliche Teestubenbesitzerin, war aus dem kleinen roten Häuschen geeilt, hielt nun das Museumstor weit geöffnet und feuerte die Truppe mit einem «Hau ruck!» an.
Annegret riss sich zusammen, damit sie nicht zu oft «Vorsicht» und «Nicht so grob» dazwischenrief. Sie war ja froh, dass sich auch heute so viele Freiwillige eingefunden hatten, um die Exponate an Ort und Stelle zu bringen. Die Gemeindeverwaltung hatte einen Aufruf zur Mithilfe gestartet, und die verschiedenen Südbrookmerländer Behörden und Vereine hatten ihre Mitarbeiter, ihre Zivis und Auszubildenden auf den Heiliger-Hof und ins Moormuseum zum Anpacken geschickt. Der Holländer hatte das Kommando übernommen, und auch wenn Annegret den Hausmeister nicht unbedingt mochte, er machte die Sache hier gut. Was die Organisation und das Bepacken von Transporten anging, war er ein Profi. Seit Jahren schon war er es, der auch bei den Hilfslieferungen nach Rumänien die Fäden in der Hand hielt. Deswegen war es auch übertrieben, wenn Annegret ihm diesen Job hier nicht zutraute. Ein Fachspediteur wäre zudem eine weitere finanzielle Belastung gewesen, und die Ausstellung kostete sie und den Kulturverein schon jetzt ein kleines Vermögen.
Das Verladen hatten sie bereits in der
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