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Das Sonnentau-Kind

Das Sonnentau-Kind

Titel: Das Sonnentau-Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Luepkes
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Muskeln wieder, ich kann meine Füße anheben und ein Stück gehen. Endlich sind wir hinter dem anderen Lastwagen. Die grauschmutzige Plane ist bereits aufgeschlagen.
    «Was machst du da?», höre ich die Stimme des anderen, den sie immer Wasserfall nennen. Er scheint etwas abseits in der Böschung zu stehen, wahrscheinlich immer noch mit dem Pinkeln beschäftigt. «Ist was an meinem Wagen?»
    Onkel Casimir räumt mit einer Armbewegung die Ladung zur Seite. «Deine Plane ist auf!», ruft er Wasserfall zu. Ich bewundere ihn, denn obwohl er wahrscheinlich Angst hat bis zum Hemdkragen, klingt seine Stimme so normal und sicher. «Ich schau mal nach, wenn es dir recht ist.»
    «Mach ruhig. Bei mir kann’s noch etwas dauern. Hab ’ne Kanne Kaffee intus!»
    Ich spüre wieder die kräftigen Männerhände unter meinen Achseln. Er hebt mich nach oben, Stück für Stück, ich hätte es allein auch nicht geschafft, keine Chance. Meine Knie schieben sich langsam auf die Ladefläche. Onkel Casimir drückt von unten nach. Seine Hände rutschen nach vorn, berühren meinen Busen, erst ganz wenig, aus Versehen, dann umgreifen seine Finger beide Hügel. Ich spüre, wie der Mann, der mich hebt, augenblicklich erstarrt. Der Griff um meine Brust wird fest, fast gewalttätig. Er stöhnt auf. Mir wird heiß, o Gott, mir wird schrecklich heiß. Mit letzter Kraft ziehe ich meinen Oberkörper nach vorn, verlagere mein Gewicht ins Innere des Laderaums, und er lässt mich los. Ich drehe mich zu ihm um. Sein Blick spricht Bände. Er muss nichts sagen, gar nichts, es ist klar, dass er gemerkt hat, dass ich kein Junge bin, sondern schon fast eine Frau. Ihm scheinen die Augen aus dem Kopf zu fallen. Ich weiß, was er jetzt will. Es ist immer dasselbe. Ich habe es schon so oft getan. Und es hat mir schon oft das Leben gerettet. Der Mann von der Fleischerei in der Calea Victoriel, er mag es im Stehen. Und er sagt nichts mehr danach, auch nicht, wenn ich noch ein zweites Mal in die Kiste mit frischen cabanas greife. Es ist so etwas wie eine ganz spezielle Währung in Arad – und wahrscheinlich im ganzen Land. Und Onkel Casimir hat sich eine Belohnung verdient. Es ist, wie es ist. Ich ziehe meinen Pullover nach oben, sodass er sehen kann, was er eben berührt hat, dann krieche ich rückwärts nach hinten, zwänge mich zwischen den gestapelten Kisten hindurch, dabei behalte ich ihn im Auge. Er sieht noch immer so aus, als wäre eben die Welt stehen geblieben.
    «Komm her», sage ich, locke ihn mit dem Zeigefinger. «Wir gehen nach hinten. Beeilen wir uns.»
    Er schaut sich um, nach links und rechts, kurz und hektisch über die Schulter. Dann greift er mit beiden Händen die Kante und zieht sich hoch. «Hinten ist was verrutscht, ich mache das eben für dich», ruft er in Richtung Böschung. «Zigarillos sind bei mir auf dem Sitz, bedien dich und lass dir Zeit!» Er kommt ins Innere. Mir ist schlecht. Bei so etwas ist mir bislang immer schlecht geworden, aber da hatte ich meistens mein Aurolac in der Nähe, da habe ich ein-, zweimal tief in die Tüte gerochen, und es war okay. Aber hier ist kein Aurolac. Ich muss da durch.
    Ich bin jetzt ganz hinten im Laderaum. Warm ist es nicht und bequem schon gar nicht. Onkel Casimir zieht sein Hemd aus. Darunter trägt er ein weißes Shirt, unter seinen Armen breiten sich Schweißflecken aus. Er blickt mich an.
    Ich denke, er sollte sich beeilen. Wirklich, er ist so komisch, er macht mir Angst.
    Er schüttelt den Kopf, fast traurig, dann wirft er mir das Hemd zu. «Leg dich darunter, dann kann er dich nicht gleich sehen, falls er noch einmal die Ladung kontrolliert.»
    Onkel Casimir berührt mich nicht. Er schaut mich auch nicht mehr an, er zieht sich nur zurück, als hätte ich ihn geschlagen. Kurz bevor er die Plane von außen schließt und das letzte bisschen Tageslicht aus dem Raum verbannt, nuschelt er fast unverständlich: «Hätte ich gewusst, dass du ein Mädchen bist, dann hätte ich dich da in Arad am Straßenrand stehen lassen.»
    Ich glaube, das hat er gesagt.

Büro Axel Sanders/ehemals Büro Wencke Tydmers
alles piccobello
    «Nein habe ich gesagt», knurrte Axel Sanders.
    «Aber …»
    «Meine liebe Wencke, dies ist jetzt bereits dein hundertstes Aber an diesem Mittag. Ich bin es leid.»
    «Aber … ich hätte es dir auch gestern Abend schon erzählt, dann hättest du heute deine Ruhe. Doch du bist mir ja aus dem Weg gegangen, als hätte ich eine ansteckende Krankheit.» Sie fuchtelte mit den Armen.

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