Das Sonnentau-Kind
Akzent.
«Sind Sie Teresa?»
«Wer? Nein, ich bin nicht Teresa. Ich bin Paula Peters. Ich bin Frau von Roland Peters. Können Sie mich verstehen?»
«Ja, es ist in Ordnung. Ich habe gestern mit Ihrem Mann telefoniert. Eigentlich wollten wir heute Morgen wieder sprechen, aber da habe ich niemanden erreicht.»
«Natürlich nicht», sagte die Stimme seltsam apathisch.
«Das ist aber nicht so schlimm, es ist gut, dass Sie sich jetzt melden. Ist Teresa da?»
«Teresa? Warum fragen Sie immer nach diese Teresa? Ich muss Ihnen sagen, dass mein Mann, er ist tot.»
«Was?»
«Ich habe gesehen Nummer aus Deutschland auf Telefon, und es ist gewesen letzte Nummer. Darum ich habe angerufen. Denn ich nicht wissen, was ist passiert und warum haben Teresa meinen Mann getötet. Ich nicht verstehen. Du?»
«Was ich?»
«Du verstehen, warum Mord? Einfach so? Er war guter Mann.»
«Ihr Mann ist ermordet worden? Wann?»
«Letzte Nacht. In alten Theater. Er hat gesagt, er kommen später die Nacht, weil er müssen suchen Teresa für wichtige Sache. Als er ist nicht gekommen nach Hause die ganze Nacht und ich haben angerufen Polizei. Und die haben gefunden Roland tot in Teatrul vechi. Und Kinder gesagt, Teresa ist gewesen und ist verschwunden jetzt. Und ich weiß nicht …» Sie schluchzte laut auf.
Es war kaum fassbar, irgendwo in diesem fremden Land saß eine Frau am Telefon und weinte, und sie – Wencke – sollte etwas damit zu tun haben. Was konnte sie sagen?
«Weinen Sie nicht», versuchte Wencke sie zu beruhigen und wusste im gleichen Augenblick, es war der unbrauchbarste Satz, den sie nach Rumänien hatte schicken können. Weinen Sie nicht … was sollte das? Wenn diese Frau in der letzten Nacht ihren Mann verloren hatte, weil durch den Telefonanruf irgendetwas losgetreten worden, irgendeine Katastrophe ausgelöst worden war, dann hatte diese Frau das verdammte Recht zu weinen.
«Entschuldigen Sie», sagte Wencke langsam. «Es ist nur so … wissen Sie, dass Sie mit der deutschen Polizei telefonieren?»
«Mit Polizei? Nein. Ich haben einfach nur die Nummer gewählt, die Roland …» Wieder brachte die Trauernde in Rumänien kein Wort heraus.
«Ich habe gestern mit Ihrem Mann telefoniert, weil wir hier in unserem Dorf einen Toten haben. Es ist Aurel Pasat. Kennen Sie ihn?»
«Aurel? Ein guter Junge. Mein Mann hat ihn gemacht gut. Er ist … auch …?»
«Ja. Und ich hatte nur diese Telefonnummer von der Prim ặvarặ- Schuleals Kontakt in Aurels Heimat. Ihr Mann hat mir erzählt, dass eine gewisse Teresa mehr wüsste. Er wollte dafür sorgen, dass ich mit ihr telefonieren könnte. Und dann habe ich ihn nicht mehr erreicht.»
«Dann er ist … er ist gegangen zu Teatrul vechi für sagen Telefon. Und Teresa hat ihn getötet wegen Angst. Und dann sie ist weg. Und keine Strafe. Für meinen Mann …»
Auch wenn das, was die Frau sagte, traurig genug war, verebbte das Weinen zum Glück nach und nach. Wahrscheinlich ging ihr, was sie eben über Aurel erfahren hatte, durch den Kopf und verdrängte einen Augenblick lang die Verzweiflung.
«Wer ist diese Teresa?»
Es dauerte ein wenig, bis die Antwort kam. Eine ganze Weile hörte man nur ein schweres Atmen, fast ein Seufzen. Dann holte Frau Peters Luft. «Sie ist eine gefährliche Mädchen. Sie kennt keine Gefühle. Sie hat nie gelernt Regel, nie gelernt richtig Schreiben und Rechnen. Sie hat nur gelernt Töten.»
«Und wohin könnte sie geflohen sein?»
«Wenn sie noch nicht weiß, dass Aurel ist tot, dann ist sie zu ihm gefahren.»
«Nach Deutschland?»
«Ja, ich glaube, sie ist zu ihm gefahren. Hier in Arad sie wäre …» Wieder weinte die Frau, diesmal noch heftiger und atemloser als zuvor. «Hier sie wäre tot!»
Dann wurde die Leitung unterbrochen. Ob Frau Peters aufgelegt oder die rumänische Technik ihre Finger im Spiel hatte, war nicht auszumachen. Doch Wencke hatte genug erfahren, um zu wissen, dass jetzt irgendwie alles anders aussah, die Sache mit der Familie in Rumänien. Wenn sie die Andeutungen der Frau über Aurel Pasat richtig verstanden hatte – Mein Mann hat ihn gemacht gut –, dann war der tote Roland Peters so etwas wie ein Ziehvater gewesen. Das bedeutete, dass Aurels Tod nun auch in Rumänien, in Peters’ Familie, Spuren hinterließ. Auf welche Art und aus welchem Grund auch immer.
Und nun war – vielleicht, wahrscheinlich – diese Teresa hierher unterwegs. Was wollte dieses Mädchen, das Aurels beste Freundin gewesen war, das einen
Weitere Kostenlose Bücher