Das Sonnentau-Kind
mit dem Mountainbike unterwegs war, auf einmal nach einer Radtour fast zusammenklappt. Und sich dann den Strick nimmt. Das war einfach … Quatsch.
Kurz hatte sie überlegt, Axel Sanders mit dem Handy anzurufen und ihm von ihrem Fund zu berichten. Doch dann waren ihr all die Sätze wieder eingefallen, die er im Laufe des Tages losgelassen hatte. Es machte keinen Sinn. Er würde sich nie von ihr umstimmen lassen.
Stattdessen hatte sie die Nummer der Spurensicherung gewählt und das Glück, ausgerechnet Kerstin zu erwischen, mit der sie von all den Experten in weißen Plastikoveralls das beste Verhältnis hatte. Auch sie war Mutter ohne Trauschein und Polizistin, auch sie hatte nach der Babypause über die Doppelbelastung gestöhnt. Vielleicht nutzte diese Gemeinsamkeit etwas.
Doch Kerstin hatte nachgehakt: «Wir sollen ein Fahrrad sicherstellen? Aber ich denke, der Fall ist ad acta gelegt worden. Selbstmord. Oder nicht?»
«Es gibt neue Erkenntnisse. Und es wäre wichtig, dass noch heute jemand das Fahrrad samt Drumherum in Augenschein nimmt.»
«Wencke, das klingt für mich irgendwie nach Alleingang.»
Was hätte Wencke antworten sollen? Streng genommen war es das ja. Aber andererseits … «Axel Sanders hält das Ganze für einen Selbstmord. Und die meisten unserer Abteilung auch, zugegeben. Aber ich habe meine Zweifel, berechtigte Zweifel, wenn du es genau wissen willst.»
Kerstin hatte geseufzt. «Die meisten von uns sind unterwegs. Wir haben mal wieder neue Beweise beim Penny- Fundament …»
«Papperlapapp!»
«Wencke, ich bitte dich! Ich weiß genau, dass Axel Sanders derzeit die Leitung hat. Und somit ist er es auch, der uns die Anweisungen gibt.»
«Aber du weißt auch genau, dass ich eigentlich die Chefin in diesem Laden bin. Und nur weil ich ein Kind bekommen habe, muss ich mir nun von Axel Sanders alles vorschreiben lassen?»
«Ach Mensch …»
Es hatte nicht mehr viel gefehlt, einige Appelle an die Gleichberechtigung, einiges Lamentieren über die grundsätzliche Missachtung derselbigen in der Situation, in der sie gerade beide steckten, Kind und Beruf, und wie soll man das alles nur schaffen, und dann hatte Kerstin eingelenkt und ihr zwei Kollegen versprochen, die zwanzig Minuten später auch tatsächlich eingetroffen waren.
Wencke war klar, diese Aktion würde weiteren Ärger nach sich ziehen. Weitere Standpauken von Axel und Co. Aber das Verhältnis zwischen ihnen war ohnehin auf dem Nullpunkt. Was sollte da noch kommen?
Im halbwegs sicheren Wissen, das Richtige getan zu haben, war Wencke nach Hause gefahren, hatte versucht, sich auf Emil und Anivia und einen Bilderbuchfeierabend zu freuen.
Doch erst als ihr Au-pair-Mädchen sich neben sie setzte und nach wenigen Sekunden schon das Deutschkursbuch sinken ließ, nahm der Abend für Wencke endlich eine neue Wendung.
«Was gibt es Neues in Sachen Aurel?», fragte Anivia.
Und da konnte Wencke loslegen. Endlich ein Mensch, der sie verstand, der ihr zuhörte, wenn sie von ihrer Begegnung mit Annegret Helliger erzählte, dieser seltsam aparten Künstlerin, die vom Verliebtsein gesprochen hatte. Anivia folgte ihren Ansichten, was das Fahrrad anging, und auch sie zeigte sich verärgert über Axel Sanders’ absolut bescheuertes Benehmen.
«Das hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Hier im Haus ist er immer so nett», sagte sie nur.
«Im Büro ist er ein Schwein», blaffte Wencke, natürlich öffnete sich just in diesem Moment die Terrassentür, und Axel schaute um die Ecke. Er schien einen Moment zu überlegen, sich zu ihnen zu setzen, immerhin standen auf dem Tisch frisches Brot, appetitlicher Aufschnitt und ein Rest vom Tomatensalat. Doch als er die feindlichen Blicke seiner Mitbewohnerinnen abbekam, zog er sich wortlos und mit resigniertem Gesichtsausdruck ins Hausinnere zurück.
«Das ist auch besser so!», sagte Anivia, und Wencke hätte sie küssen mögen für diese weibliche Solidarität. Sie stand auf, bemühte sich, durch den Positionswechsel nicht den Schlaf ihres Sohnes zu stören, und trug den weiterschlummernden Emil in sein Kinderbett. Ein Kuss auf seine weiche Wange, eine Hand über seinem flaumigen Haar, sie hörte auf sein tiefes, zufriedenes Seufzen und dachte, dass er es richtig machte. Wencke lächelte, nahm sich vor, die schlechte Laune für heute zu streichen, und ging zurück in den Garten.
«Trinken wir einen Wein?», fragte Wencke und holte nach einem eindeutigen Nicken eine Flasche Pinot Grigio aus dem kühlen
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