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Das Sonnentau-Kind

Das Sonnentau-Kind

Titel: Das Sonnentau-Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Luepkes
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hinterher und nannte mich Hure, weil ich so viel Geld mit mir herumtrug und sie sich denken konnte, woher es kam.
    Meine kleine Schwester Carla ist mir hinterhergelaufen. Sie hat gesagt, es seien Männer da gewesen, in unserer Hütte, sie hätten sich Ladislaus angeschaut, nur ihn, ausgerechnet. Und dann seien sie am nächsten Tag wiedergekommen und hätten ihn geholt. Und meine Mutter hat für sich und ihren Freund ein neues Bett gekauft, Wein und Brot und eingelegtes Fleisch.
    «Sie hat ihn verkauft?», habe ich meine Schwester gefragt. Doch Carla wollte nicht antworten, sie schaute sich ständig um, wahrscheinlich hatte sie Angst, dass jemand sah, wie sie mit mir sprach.
    «Aber warum ausgerechnet ihn?», fragte ich aufgeregt. «Ich habe schon gehört, dass reiche Ehepaare aus Deutschland, England oder Amerika sich kleine Kinder aus Rumänien kaufen, weil sie keine eigenen bekommen können. Das ist auch nicht wirklich schlimm, finde ich, schließlich haben die es dann sicher gut in den neuen Familien. Aber diese Leute wollen hübsche, kleine Kinder, am liebsten mit heller Haut und nicht allzu schwarzen Haaren. Aber einen kranken Dreizehnjährigen? Wer gibt für so etwas denn Geld aus? Was wollen die von ihm? Von meinem Zwillingsbruder?»
    Carla ist dann weggerannt. Ich habe nur kurz überlegt, zurückzugehen und meine Mutter zur Rede zu stellen. Aber es machte keinen Sinn. Also bin ich nie wieder dorthin gegangen. Es war vorbei. Es war nicht mehr meine Familie. Da zog ich lieber mit Victor und Iancu und den anderen durchs Leben. Und mit dir, Aurel.
    Ich bin zu dir gegangen an diesem Tag, ins Prim ặvarặ, habe dir alles erzählt. Erinnerst du dich? Du hast genickt und mir gesagt, das sei in letzter Zeit öfter passiert. Und du wüsstest von Kollegen aus der Hauptstadt, dass der Handel mit kranken Kindern derzeit floriere. Wir haben lange gesprochen. Du hast gesagt, du würdest dich darum kümmern. Das ist fast zwei Jahre her. Immer wieder hast du mir etwas über deine neuesten Erkenntnisse berichtet. Jede Woche hast du von einem neuen Kind erfahren, das verschwunden ist. Nicht alle wurden verkauft, einige sind auch einfach verschwunden, beim Betteln auf der Straße gestohlen oder sogar aus ihrem Babybett geraubt. Kinder mit Behinderungen, wie Ladislaus sie gehabt hat. Aber auch Kinder, bei denen die Haut immer entzündet war, blinde Kinder, Kinder mit Narben im Gesicht, Kinder mit amputierten Gliedmaßen. Es war unvorstellbar. Ich malte mir manchmal einen Ort aus, an dem diese ganzen gestohlenen Kinder gesammelt wurden. Es musste ein fürchterlicher Anblick sein. Wer hatte Interesse daran, so viel Elend anzuhäufen? Du hattest Angst, dass es Menschen waren, die der alten Regierung angehörten. Denn obwohl der Diktator schon längst tot ist, sollen noch immer Geheimsoldaten von ihm unterwegs sein. Und diese Leute kennen keine Gnade, sie wollen die Kranken und Hässlichen vernichten, weil sie meinen, sie nehmen den Gesunden das Essen weg. Aber ich glaube nicht, dass sie dann bereit wären, Geld für Ladislaus und die anderen zu zahlen. Das wäre ein absoluter Widerspruch. Es muss etwas anderes dahinterstecken.
    Und dann hattest du auf einmal einen Namen und einen Ort in Deutschland gefunden. Du warst dir sicher, eine Spur zu haben. Eine Familie, die vor einigen Jahren einmal zwei Kinder adoptiert hatte, zwei gesunde und hübsche Kinder aus einem Heim in Cluj-Napoca, das auch mit Prim ặvarặ zusammenarbeitet. Im Grunde eine gute Sache, doch es gebe seit damals einen steten Kontakt zu diesen Leuten und du hättest bemerkt, dass auch Geld im Spiel sei. Viel Geld. Es komme dir verdächtig vor. Aber du hättest einen Weg gefunden, der Sache auf die Spur zu kommen. Und freudestrahlend zeigtest du mir einen Brief und sagtest: «Genau diese Leute haben mich nun als ihren Au-pair-Jungen eingeladen. Ein Jahr werde ich dort sein, genug Zeit, um nach Ladislaus und den anderen Kindern Ausschau zu halten. Wenn ich wiederkomme, werde ich deinen Bruder mitbringen und die Sache geklärt haben. Warte ab!»
    Dann ist alles so schnell gegangen. Eine Woche später bist du zu ihnen gefahren. Nach Moordorf. Zu dieser Familie, die mit Nachnamen Helliger hieß.
    Ich stehe noch immer hier und schaue mir staunend diese andere Welt an. An einem grauen Elektrokasten hängt ein Plakat, auf dem eine Frau zu sehen ist. Sie lächelt. Ich krame den Brief hervor und schaue von deiner Handschrift auf das aufgeklebte Bild und wieder zurück, und

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