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Das Sonnentau-Kind

Das Sonnentau-Kind

Titel: Das Sonnentau-Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Luepkes
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mehr erstaunte es Annegret, dass er sich nun so sehr über die paar Polizisten auf dem Grundstück aufregte.
    Annegret Helliger trat durch die Tür nach draußen. Von hier aus konnte man den größten Teil des Außengeländes überblicken. Die Skulpturen machten sich gut zwischen den Lehmhütten und Gerätschaften. Ganz hinten neben dem abgegrabenen Hochmoor, dessen feuchte Abrisskante eine schimmlig-grüne Wand vor dem Rundweg bildete, stand der junge Mann. Er musste sich über den Zaun gestohlen haben. Nun blickte er ihr entgegen, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Natürlich waren die Mitarbeiter des Naturschutzhauses oft Typen, die sich gern lässig kleideten, doch dieser Junge – mein Gott, er war wirklich noch so jung – sah aus, als habe er auf der Straße geschlafen. Und zwar länger als nur eine Nacht. Sie winkte ihm zu. Seine Haare waren tiefschwarz, und je näher sie kam, desto unergründlicher schien ihr der finstere Blick, mit dem er sie anstarrte.
    «Sie sind schon da?», rief sie aus rund zwanzig Meter Entfernung. Doch er antwortete nicht. Die Haut, die Haare, die Augen. Er sah aus wie ihre Kinder, wie Henrike, Thorben, und auch wie Aurel. Wie ein Rumäne. Aber am Telefon hatte er keinerlei Akzent gehabt. Vielleicht irrte sie sich, und das war jemand anders. Ein Hilfsarbeiter oder so. «Wir sind doch verabredet?», fragte sie den Fremden und bemühte sich um ein Lächeln.
    «Aurel?», fragte er. Die Stimme war hoch und klar wie die eines kleinen Jungen. Oder irrte sie sich? Stand sie einem Mädchen gegenüber?
    Sie machte den letzten Schritt auf ihn – auf sie zu. «Aurel ist tot. Wussten Sie das noch nicht? Kannten Sie ihn?»
    «Aurel?», fragte die Gestalt wieder.

Vor dem Moormuseum trügerische Ruhe
    Eine Familie mit zwei kleinen Kindern löste die Eintrittskarten, obwohl der Vorschuljunge ununterbrochen quengelte, Museen seien stinklangweilig und er würde lieber nach Aurich zu McDonald’s, da gebe es zurzeit Mexikowochen. «Nix da Mexiko, heute steht Ostfriesland auf dem Programm», reagierte die Mutter ungnädig und schob den Kinderbuggy mit dem schlummernden Töchterchen umständlich durch das Drehkreuz. Der Vater sagte nichts, sondern nahm alles teilnahmslos mit der Videokamera auf.
    Wencke stellte sich geduldig hinten an und wartete, bis die Sippe sich auf dem kleinen Fußweg versammelt hatte. Ein junger, schlaksiger Mann mit Ziegenbart hatte es anscheinend eilig, das Museum zu verlassen, sie ließ ihn geduldig das Eisentor passieren. «Hochbetrieb im Moormuseum», sagte Wencke zu sich selbst. Wahrscheinlich waren noch einige Vorbereitungen für den kommenden Sonntag im Gange, deswegen der Trubel wie im Taubenschlag. Es war egal, sie hatte Zeit, sie fühlte sich, als stünde ihr alle Zeit der Welt zur Verfügung und als hätte sie einen großen Vorsprung in dieser Sache. Ein seltsamer Gedanke, denn von wem sollte sie überhaupt verfolgt werden? Axel Sanders ging schon längst eigene Wege, und der Mörder von Aurel Pasat musste sich doch bereits in Sicherheit wiegen. Vielleicht hatte sie niemanden vor und erst recht niemanden hinter sich, sondern war ganz allein auf weiter Flur.
    Annegret Helliger war verabredet, irgendwo hinten bei der Sodenhütte hatte die Frau aus der Teestube sie das letzte Mal gesehen. Mit einem dunkelhaarigen Jüngling, so ein Schluderiger, der ihr beim Aufbau helfen sollte. Das war vor ungefähr einer halben Stunde, wusste die Kittelbeschürzte noch genau, weil sie gerade begonnen hatte, die Salate für den Mittagstisch vorzubereiten, und das machte sie immer so gegen zwölf. Wencke solle nur bis hinten durchgehen, da werde sie die Künstlerin schon persönlich antreffen. Nur richtig schauen. Sie sei eine große Frau.
    Wencke machte sich auf den Weg. «Frau Helliger?», rief sie, als sie die erste niedrige Lehmhütte passierte. Doch aus dem Inneren kam nur der kleine Junge, der sich wohl immer noch langweilte und dabei war, seinem Kamera haltenden Vater abzuhauen. Die Mutter rief von innen: «In dieser kleinen Hütte haben sie damals mit bis zu neun Arbeitern gelebt. Zusammen mit den Ziegen. Das muss man sich mal vorstellen. Das Plumpsklo ist ums Eck neben dem Eingang. Nun schau dir das doch mal an, Dennis.» Sie kam heraus, ein wenig zu schnell, übersah den tiefen Türsturz und holte sich eine Beule an der Stirn. Ihre Laune schien sich immer weiter zu verschlechtern, der Tonfall wurde so meckernd, dass man meinte, das Vieh von damals sei wieder in die

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