Das Sonnentau-Kind
Wahrheit herauszubekommen, vorausgesetzt, sie bekämen die Sprachbarriere in den Griff.
Strohtmann war bereits beauftragt, einen Dolmetscher zu finden, sonst müssten sie Sebastian Helliger bitten, mitzukommen, doch ob dieser heute in der Lage sein würde, die Aussage zu übersetzen, war fraglich.
Die Kollegin von der Spurensicherung kam auf sie zu. Axel Sanders hätte nie gedacht, dass es Menschen gibt, denen die weißen Plastikoveralls standen, aber der Ansehnlichkeit dieser Frau tat die knisternde Berufskleidung keinen Abbruch. Täuschte er sich, oder schenkte sie tatsächlich ihm dieses strahlende Lächeln?
Nein, sie ging auf Wencke zu. «Na, da hat es uns heute wohl beide erwischt mit den Überstunden», sagte sie und klopfte Wencke komplizinnenhaft auf die Schulter. Axel erinnerte sich, sie hatte vor nicht allzu langer Zeit einen ebenso runden Bauch wie Wencke gehabt, ein Blick auf ihre noch nicht in den Handschuhen steckenden Finger verriet ihm, dass sie keinen Ehering trug. Deswegen also das vertraute Verhältnis. Alleinerziehende Mütter unter sich.
«Was ist passiert?»
«Annegret Helliger wurde niedergeschlagen. Wir haben zwar direkt am Tatort ein junges Mädchen festgenommen, das bereits in seiner Heimat Rumänien wegen eines Tötungsdeliktes gesucht wird, aber ich glaube nicht, dass wir in diesem Fall unsere Täterin haben.»
«Wisst ihr Näheres über das Opfer?»
Wencke hatte die Handtasche des Opfers an sich genommen und kramte nun die Ausweispapiere hervor. «Annegret Helliger, geborene Isselmeer. Die Frau des Moorkönigs. Die Adoptivmutter zweier Rumänienkinder. Die Gastmutter von Aurel Pasat. Hier laufen Fäden zusammen, ich hoffe, eure Truppe kriegt die Knoten entwirrt.»
«Wir sind dabei. Und noch etwas: Wir haben das Wasser unter die Lupe genommen, und du hattest recht. Wie immer!»
«Welches Wasser?», mischte sich Axel Sanders ein.
Beide schauten ihn an, Wencke genervt, doch die andere eindeutig freundlich, wenn nicht sogar mehr als das. «Das Wasser aus Aurel Pasats Zimmer», sagte sie.
«Und was ist damit?»
«Es ist destilliert. Die Flaschen waren alle geöffnet, jemand muss die Flüssigkeiten ausgetauscht haben. Leider ohne dabei Fingerabdrücke zu hinterlassen. Aber jemand, der so perfide vorgeht, wird an diesem Punkt auch kaum mit dem Pfuschen beginnen.»
Axel Sanders merkte, dass er einen ziemlich unwissenden Gesichtsausdruck erwischt haben musste, denn die Spurenfrau schaute auf einmal von ihm zu Wencke und wieder zurück. «Ich verstehe, die beiden Kollegen hatten noch nicht die Gelegenheit, sich über die neuesten Erkenntnisse auszutauschen.» Sie musste ein Grinsen unterdrücken, das sah man ihr deutlich an. «Na dann … will ich mal an die Arbeit gehen.»
Wencke schaute ihr hinterher.
«Wie heißt sie nochmal?», fragte Axel Sanders.
«Keine Ahnung», sagte Wencke. Doch das glaubte er nicht. Nun, es mochte tatsächlich eine Intuition sein, gefühltes Wissen sozusagen, doch Axel Sanders hätte in diesem Moment einiges darauf verwettet, dass diese beiden Frauen einen geheimen Konkurrenzkampf ausfochten. Doch um was ging es?
Egal, wichtiger war es, bei dieser Sache mit dem destillierten Wasser nachzuhaken. Wencke kam ihm zuvor: «Ich hätte es dir schon noch früh genug gesagt. Wenn nicht diese Sache mit Annegret Helliger dazwischengekommen wäre …»
«Was hättest du mir früh genug gesagt?»
«Ich habe Kerstin von der Spurensicherung …» – nun hatte sie sich verplappert, natürlich, die Brünette im Plastikoverall hieß Kerstin, Wencke schlug nur kurz verlegen die Augen nieder –, «… ähm, also, ich habe die Kollegin gefragt, ob sie Aurel Pasats Fahrrad untersuchen könnte. Ich habe es gestern Abend gefunden.»
«Beim Spazierengehen wahrscheinlich.»
«Haha! Ja, okay, ich habe auf eigene Faust ermittelt. Aber wenn du so stur bist?»
«Und was hast du herausgefunden, Miss Marple?»
«Übertreib es nicht, Axel. Sonst hänge ich es an die große Glocke, dass durch deine Ignoranz jede Menge Spuren übersehen wurden, die gegen Aurel Pasats Freitod sprechen.»
«Und die wären?»
«Die Bodenanalyse hat ergeben, dass er nicht mit dem Fahrrad zum Schuppen gefahren, sondern gelaufen ist. Die Erde im Reifenprofil weist darauf hin, dass seine letzte Tour in der Nähe des Großen Meers stattgefunden hat. Trotzdem stand das Mountainbike in der Nähe des Tatorts.»
Axel Sanders schluckte. Dies war definitiv eine Verstrickung von übersehenen Tatsachen, die
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