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Das Sonnentau-Kind

Das Sonnentau-Kind

Titel: Das Sonnentau-Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Luepkes
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erste Mal nach Ostfriesland gekommen war, um Urlaub zu machen. Mit Mitte zwanzig war sie noch ein ganz anderer Mensch gewesen, gerade im Studium, gerade die ersten Familienpläne im Kopf, damals natürlich nicht mit Sebastian. Sie hatte das Moor geliebt, auch den Wind über den weiten Feldern, die raue Salzluft und die wortkargen Ostfriesen. Sie war noch ein paarmal in den Semesterferien wiedergekommen und hatte auch einige Bilder hier gemalt. Doch nie hätte sie daran gedacht, einmal hier zu leben. Das Leben hatte sich für sie mit dreißig auf einmal so rasant in eine andere Richtung entwickelt, dass nichts von dem, was sie damals für erstrebenswert gehalten hatte, eingetroffen war. Und im Umkehrschluss hatte das Leben, welches sie jetzt führte, gar nichts mit dem Wunschdenken zu tun, dem sie nachhing, als sie Mitte zwanzig gewesen war. Bis auf die eine Sache.
    Annegret lächelte bei dem Gedanken. Es war gut, so wie es jetzt war.
    Sie wusste, eine waschechte Ostfriesin würde sie natürlich nie werden, dies merkte sie soeben an dem Spruch «Drei Tassen sind Ostfriesenrecht», der im Grunde nur an Fremde gerichtet wurde, weil die Einheimischen ihn längst nicht mehr hören wollten.
    «Danke, Marianne, ich glaube, ich lasse es. Ich bin hier verabredet. Die Arbeit …»
    «Aber die Ausstellung ist doch nun so gut wie komplett. Oder nicht?»
    «Nur noch ein paar Details, die Schilder für jedes Objekt. Aber dann ist alles fertig. Am Sonntag ist Eröffnung.»
    Die Frau mit dem blauen Kittel nickte eifrig. «Mein Mann und ich planen schon das Büfett. Wir freuen uns ja so, dass der Kulturverein, also Ihr lieber Mann, eine so gute Idee gehabt hat. Ihre Kunst wird unserem Museum bestimmt wieder ein paar Besucher mehr bringen. Und die können wir gebrauchen, Sie wissen ja …»
    Bevor die Teestubenbesitzerin ihren ausführlichen Bericht zur finanziellen Lage des Moormuseums beginnen konnte, stand Annegret Helliger auf, legte das abgezählte Geld neben die Teetasse und verabschiedete sich. Es war kurz vor halb zwölf. Gleich wollte der junge Mann kommen.
    Eigentlich hatte ihr der Termin heute Vormittag nicht so besonders gut gepasst, doch dieser Kerl hatte darauf bestanden. Richtig aufdringlich war er am Telefon gewesen. Er habe sich so viel Mühe gegeben mit den Schildern, und dann wolle er sie auch persönlich anbringen, das müsse sie verstehen. Und er wolle sich so gern mal mit ihr unterhalten, sein Vater sei auch Künstler gewesen. Nicht so bekannt und erfolgreich, aber sonst eine ganz ähnliche Richtung. Und vielleicht kenne sie ihn ja. Den Namen hat er nicht genannt, auch nicht auf Nachfrage. Wahrscheinlich war er nicht der Rede wert, und der junge Mann wollte sich nur interessant machen. Aber Annegret hatte schließlich in den Termin eingewilligt. Es war sicher eine angenehme Ablenkung von diesem Theater zu Hause.
    Gestern Abend noch waren wieder Polizisten auf dem Grundstück gewesen. Die Kommissarin hatte nach Aurels Fahrrad gesucht und es schließlich auch gefunden. Sebastian war zornig geworden. «Dieses Hin und Her», hatte er sich beschwert. «Erst sagen sie mir, es war eindeutig Selbstmord, und dann rücken sie wieder an und drehen jeden Stein um, als gäbe es doch noch etwas zu entdecken.» So aufgeregt kannte Annegret ihren Mann gar nicht, und es leuchtete ihr auch nicht ein, warum er etwas dagegen hatte, wenn die paar Leute im Wald unterwegs waren. «Das Gerede von den Nachbarn und dieses Herumwühlen in unserer Privatsphäre. Ich will dich und die Kinder schonen», hatte er seine unterschwellige Aggression gerechtfertigt, dabei hatte niemand ihn gebeten, sich als Schutzschild zu betätigen. Und sonst hatte er immer ein ziemlich dickes Fell gehabt, wenn es um das Gerede der Leute ging.
    Damals, als sie sich in Osnabrück kennenlernten – sie hatte das Studium gerade abgeschlossen und er seinen Betriebswirt in der Tasche –, da war es für ihn schwer gewesen, das Getuschel und Gegucke, wenn er sie zum Krankenhaus brachte, zur Therapie, oder auch wenn sie einfach nur die Straße entlanggingen. Er hatte stets gesagt, es mache ihm nichts aus, er liebe sie so, wie sie sei. Und es kämen bald bessere Tage, dann würden sie den Hof seiner Eltern in Moordorf übernehmen. Dann gäbe es einen Neuanfang, und niemand würde mehr hinter vorgehaltener Hand über sie tuscheln. Ja, Sebastian war ihr so stark und verständnisvoll erschienen, er hatte ohne Zögern ihr Schicksal mit getragen und nicht einmal geklagt. Umso

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