Das soziale Tier
sich die Geschäftsleute vor Staunen schier in die Hose. Das hier war sogar noch cooler als die kostenlosen Schlüsselbänder und Tragetaschen, die sie im Vorraum draußen bekommen hatten.
Dann projizierte er die Hirn-Scans an die Wand und begann über die Unterschiede zwischen linker und rechter Hirnhälfte und seine Theorien über Reptiliengehirn-Impulse zu sprechen. Diese Verkaufsmasche stützte sich auf die eine oder andere ernstzunehmende wissenschaftliche Erkenntnis, die aber übertönt wurde von der anpreisenden Rhetorik. Die Hirn-Scans waren überwältigend. Er erklärte, dass das Gehirn von oben nach unten einer etwas runderen Version von Ohio ähnelte. Und mit der Anzahl der gezeigten Scans wuchs seine Begeisterung. Sehen Sie nur, ein Schluck Pepsi lässt den Stirnlappen – um Cleveland, Akron und Canton – aufleuchten. Schauen Sie da, ein Frito-Lay-Chip lässt das Gebiet um Mansfield aufleuchten, wobei sich auch in Columbus eine leichte Aktivität zeigt! Sehen Sie, was geschieht, wenn man Menschen ein Bild von FedEx zeigt: Dayton wird orange! Toledo ist rot!
Ein Frühstücksmüsli sollte unbedingt den medialen Stirnlappen anregen, erklärte er. Werbespots mit dem Basketballprofi LeBron James sollten den ventralen prämotorischen Cortex anfeuern. Sie sollten Ihre Marke im ventralen Striatum verankern, riet er allen. Sie müssen den Kunden emotional ansprechen!
Das war Wissenschaft mit Sexappeal! Das war nicht Ericas vages Gerede über Kultur. Das waren Farben auf einem Bildschirm, die von mehrere Millionen Dollar teuren Apparaten erzeugt wurden und die man sehen und messen konnte.
Die Vertreter des Neuromarketings hatten ihr hochwissenschaftlich klingendes Vokabular, ihr exklusives NeuroFocus Insight System oder ihre NeuroFramework Product Strategy. Sie konnten die neurophysiologischen Prozesse, die der Schlüssel zum Verkaufserfolg waren, exakt visualisieren. Natürlich waren die Manager davon höchst angetan. Natürlich stieß Erica jedes Mal, wenn sie ihre Dienste anbot, auf eine Mauer der Gleichgültigkeit. Ihre potenziellen Klienten wollten jemanden, der ihre dorsolaterale präfrontale Aktivierung leuchtend grün einfärben konnte. Erica konnte mit derartigen Modetorheiten des Marketings nicht mithalten.
Eines Tages bot sie ihre Expertise dem Vorstandschef eines KFZ -Zulieferers an. Nach etwa zehn Minuten unterbrach er sie. »Wissen Sie, ich achte Sie. Wir sind vom gleichen Schlag«, sagte er, »aber Sie langweilen mich. Ich habe einfach keinen Bedarf für das, was Sie anbieten.«
Erica wusste nicht, was sie erwidern sollte.
»Weshalb versuchen Sie es nicht anders? Statt mir Ihr Produkt anzupreisen, könnten Sie mich fragen, was ich will.« Erica war sich nicht sicher, ob er sie anmachen wolle. Aber er fuhr fort: »Fragen Sie mich, womit ich unzufrieden bin. Fragen Sie mich, was mich abends auf den Beinen hält. Fragen Sie mich, welchen Teil meiner Arbeit ich mir gern abnehmen lassen würde. Es geht nicht um Sie. Es geht um mich.«
Erica wurde klar, dass dies keine Anmachsprüche waren. Es war eine Lehre fürs Leben. Sie machte keinen Abschluss mit diesem Typen. Sie ging verwirrt aus seinem Büro, ihr schwirrte der Kopf. Aber diese Unterredung änderte alles. Von nun an verfuhr sie nach der Maxime: »Ich stelle mich auf Ihre individuellen Bedürfnisse ein.« Sie würde einen Weg finden, um das jeweilige Problem, mit dem ihre Kunden sie konfrontierten, mit Hilfe ihrer Werkzeuge zu lösen. Sie würde zu ihnen kommen und sagen: »Was soll ich tun? Wie kann ich Ihnen helfen?«
Eines Tages machte sie einen Spaziergang und dachte über all dies nach. Die kulturelle Segmentierung ließ sich nicht verkaufen. Und sie wollte nicht ins Lager des Neuromarketings wechseln, weil sie erkannte, dass die Ratschläge, die dort aus wissenschaftlichen Erkenntnissen abgeleitet wurden, recht banal waren. Was also konnte sie anbieten?
Nie kam ihr der Gedanke aufzugeben. Angela Duckworth von der University of Pennsylvania behauptet, dass sich erfolgreiche Menschen ein Ziel in der fernen Zukunft setzen und es dann zielstrebig verfolgen, komme, was da wolle. 11 Flatterhafte Menschen, die ständig ihr Interessensgebiet wechseln, werden höchstwahrscheinlich in keinem davon Spitzenleistungen erzielen. Schulen verlangen von Schülern, in einer Reihe von Fächern gut zu sein, aber das Leben will von uns, dass wir eine Passion finden, bei der wir lebenslang bleiben.
Verhaltensökonomie
Erica gelangte zu der
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