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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brooks
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Rücken legen, um sie zur Tür zu geleiten, befürchtete aber, sie würde vielleicht Anstoß nehmen an der Intimität, die in dieser Geste lag. Insgeheim ärgerte sich Julia darüber, dass sie ihre Umhängetasche mitgenommen hatte, die ungefähr so groß war wie ein Minivan und genügend Platz bot, um Bücher, Handys, Papiere und vielleicht sogar ein Moped darin zu verstauen. Am Morgen hatte sie noch gedacht, es würde zu erwartungsvoll, zu sehr nach gezieltem Rendezvous-Styling aussehen, wenn sie nur ein kleines Täschchen dabeihätte. Jetzt aber wurde ihr klar, dass sie bei einem der wichtigsten Essen ihres Lebens einen Taschen-Fauxpas begangen hatte!
    Als sie durch die Tür gingen, berührte Rob endlich ihren Arm, woraufhin sie ihn vertrauensselig anlächelte. Sie schlenderten an edlen Schreibwarenhandlungen entlang, ohne zu bemerken, dass sie bereits in die typische Gangart zweier Verliebter verfallen waren: die Körper dicht nebeneinander, mit freudestrahlenden, weit geöffneten Augen in die Welt blickend. Julia fühlte sich ausgesprochen wohl mit Rob. Während des Essens hatte er sie aufmerksam angeschaut, nicht mit dem leicht irren, obsessiven Blick, mit dem James Stewart Kim Novak in Vertigo angestarrt hatte, sondern ruhig und Vertrauen einflößend.
    Rob seinerseits zitterte regelrecht, als er Julia zu ihrem Auto begleitete. Sein Herz pochte, und er atmete schnell. Er hatte das Gefühl, beim Essen außergewöhnlich witzig gewesen zu sein, ermuntert durch ihre blitzenden Augen. Nun war ihm plötzlich etwas unheimlich zumute. Er fasste sich ein Herz und fragte sie direkt, ob sie sich morgen wiedersehen würden. Natürlich sagte sie ja. Ihr jetzt nur die Hand zu geben, fühlte sich unpassend an, ein Kuss wiederum wäre zu viel gewesen. Also drückte er ihren Arm und streifte mit seiner Wange sanft über ihre.
    Als sich Julia und Rob halb umarmten, nahmen sie unbewusst die Pheromone des jeweils anderen auf. Ihr Cortisolspiegel sank. In solchen Situationen ist der Geruchssinn erstaunlich leistungsfähig. Menschen, die ihren Geruchssinn verlieren, sind emotional viel stärker beeinträchtigt als Menschen, die ihr Sehvermögen einbüßen. 25 Das hängt damit zusammen, dass der Geruch uns sehr zuverlässig Aufschluss über den Gefühlszustand eines anderen Menschen gibt. In einem Experiment, das im Monell Center durchgeführt wurde, baten die Forscher Männer und Frauen, sich Gazetupfer unter die Achseln zu kleben, und sich dann entweder einen Horrorfilm oder eine Komödie anzusehen. Die – vermutlich gut bezahlten – Versuchspersonen sollten anschließend an den Tupfern riechen. Mit einer statistisch signifikanten Trefferquote konnten sie sagen, welche Tupfer nach Lachen und welche nach Angst rochen. Frauen waren bei diesem Test viel besser als Männer. 26
    Zu einem späteren Zeitpunkt ihrer Beziehung sollten Rob und Julia den Speichel des anderen schmecken und daraus genetische Informationen ziehen. Laut einer berühmten Studie von Claus Wedekind von der Université de Lausanne fühlen sich Frauen von solchen Männern sexuell angezogen, deren für das sogenannte humane leukozytenassoziierte Antigen-System ( HLA ) kodierende Gene die größten Unterschiede zu ihren eigenen HLA -Genen aufweisen. 27 Komplementäre HLA -Codes sollen den Nachkommen stärkere Immunsysteme verschaffen.
    Unterstützt durch die Chemie und mitgerissen von ihren Gefühlen spürten sowohl Rob als auch Julia, dass dies eine der wichtigsten Unterhaltungen ihres Leben gewesen war. Tatsächlich sollte sich zeigen, dass es die bedeutendsten zwei Stunden überhaupt gewesen sein würden, denn es gibt keine Entscheidung, die größeren Einfluss auf das lebenslange Wohlbefinden hat, als die, wen man heiraten will. Im Verlauf dieses frühen Nachmittags hatten sie begonnen, ihre Entscheidung zu treffen.
    Das Essen war zwar ganz wunderbar gewesen, nichtsdestotrotz hatten sie währenddessen aber auch eine harte intellektuelle Prüfung abgelegt, die den Studierfähigkeitstest wie ein Kinderspiel erscheinen ließ. Jeder von ihnen hatte die letzten 120 Minuten damit verbracht, knifflige soziale Aufgaben zu erfüllen. Dabei legten sie Intelligenz, Gefälligkeit, Empathie, Takt und gutes Timing an den Tag. Sie hielten sich an ein soziales Drehbuch, wie es für die ersten Verabredungen in ihrer Kultur vorgeschrieben ist. Sie hatten tausend scharfsinnige Urteile gefällt und auch die winzigsten emotionalen Reaktionen des anderen höchst feinfühlig

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