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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brooks
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sprechen, einfältige und verworrene Phasen. In den einfältigen Phasen führten rationalistische Denker das menschliche Verhalten auf streng mathematische Modelle zurück. In den verworrenen gaben intuitive Geister und Künstler die Richtung vor. Manchmal gedeiht die Einbildungskraft allzu üppig. Manchmal wird die Vernunft zu streng.
    Die geistige Revolution der vergangenen 30 Jahre hat uns eine Fülle neuer Aufschlüsse über diese alten Fragen beschert. Die neuen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass das Menschenbild der britischen Aufklärung zutreffender ist als das der französischen. Nach Auffassung der französischen Aufklärer sind wir »vernunftbegabte Tiere«, die sich von anderen Tieren durch das logische Denkvermögen unterscheiden. Die Marxisten und andere im 19. und 20. Jahrhundert sahen im Menschen ein »materialistisches Tier«, das von seinen materiellen Lebensumständen geformt wird. Die Denker der britischen Aufklärung aber lagen richtig, als sie uns als »soziale Tiere« definierten.
    Doch dies wirft neue Fragen auf: Kognitive Prozesse der Stufe Eins sind wichtig, aber wie zuverlässig sind sie? Wie weit sollten wir ihnen vertrauen?
    In den alten Zeiten, als Leidenschaften und Empfindungen noch als roh, unbezähmbar und primitiv galten (wie bei Dr. Jekyll und Mr. Hyde), stellten sich diese Fragen nicht. Doch heute wissen wir, dass sie weitaus subtiler und komplexer sind als das. Was wir nicht haben, ist eine allgemein anerkannte, rationale Beschreibung der Stärken und Schwächen unseres Unbewussten.
    Einige Forscher behaupten, das Unbewusste lasse sich, ungeachtet seiner positiven Eigenschaften, am besten mit einem wilden Tier oder einem unreifen Kind vergleichen. In ihrem Buch Nudge behaupten Richard Thaler und Cass Sunstein, das Bewusstsein sei mit Mister Spock vergleichbar, es sei nüchtern, reflektierend und weitsichtig. 5 Das Unbewusste vergleichen sie mit Homer Simpson – einem impulsiven, unreifen Tölpel. Wenn der Wecker um fünf Uhr in der Früh klingelt, weiß der verständige Spock, dass es in seinem eigenen Interesse ist, aufzustehen; Homer dagegen würde den Wecker am liebsten durchs Zimmer schleudern.
    Die Auffassung, dass das Unbewusste etwas von einem Tölpel hat, ist nicht ganz unberechtigt. Das Unbewusste ist subjektiv. Es behandelt Informationen wie eine Flüssigkeit, nicht wie einen Festkörper. Wenn Informationen im Gehirn gespeichert werden, werden sie nicht einfach abgelegt; sie scheinen sich hin und her zu bewegen. Der Erinnerungsprozess eines 70-Jährigen aktiviert andere, weiter verstreute Regionen des Gehirns als der Erinnerungsprozess eines 26-Jährigen. 6 Beim Erinnern werden Informationen genau genommen nicht abgerufen; sie werden neu verflochten. Spätere Ereignisse können die Erinnerung an eine frühere Begebenheit verändern. Aus diesen und vielen weiteren Gründen ist unser unbewusstes System der Datenwiedergewinnung bekanntermaßen unzuverlässig.
    Einen Tag nach der Explosion der Raumfähre Challenger bat Ulric Neisser 106 Studenten, ganz genau zu beschreiben, wo sie waren, als sie von dem Unglück erfuhren. Zweieinhalb Jahre später stellte er ihnen dieselbe Frage. In diesem zweiten Interview machten 25 Prozent der Studenten völlig andere Angaben über ihren Aufenthaltsort. Bei der Hälfte wiesen die Antworten erhebliche Abweichungen auf, und nur weniger als zehn Prozent erinnerten sich zutreffend. 7 Nicht zuletzt aus diesem Grund machen Menschen Fehler, wenn sie im Zeugenstand aufgefordert werden, sich an ein Monate zurückliegendes Verbrechen zu erinnern. Zwischen 1989 und 2007 wurden 201 Strafgefangene in den Vereinigten Staaten mit Hilfe von DNA -Beweisen entlastet. 8 77 Prozent dieser Gefangenen waren wegen falscher Aussagen von Augenzeugen verurteilt worden.
    Das Unbewusste reagiert auch höchst empfindlich auf den Kontext – aktuelle Gefühle beeinflussen alle möglichen mentalen Aktivitäten. Untersuchungen von Taylor Schmitz von der University of Toronto deuten darauf hin, dass gut gelaunte Menschen besser im peripheren Sehen sind. 9 Bei einem anderen Experiment bekam eine Gruppe von Ärzten eine kleine Tüte mit Süßigkeiten, während eine andere Gruppe nichts bekam. Anschließend sollten sie alle eine Patientengeschichte durchlesen und eine Diagnose stellen. Die Ärzte, die die Süßigkeiten bekommen hatten, erkannten das Leberproblem schneller als diejenigen, die leer ausgegangen waren. 10
    Glücksforscher befragten Menschen, ob sie ein

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