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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brooks
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Weltwirtschaftsforum. Und während dieser Woche in Davos gibt es jeden Abend rauschende Feste, die gewissermaßen die Struktur konzentrischer Kreise besitzen. Die Menschen, die die Party im äußeren Ring besuchen, beneiden die Leute auf den Partys im mittleren Ring, und die Leute im mittleren Ring wünschten, sie wären zu den Festen im inneren Ring eingeladen. Jeder Ring wartet mit einer geringfügig »gehobeneren« Gästeliste auf als der vorangehende Ring – wobei Ökonomen und andere kompetente Menschen im äußersten Ring zu finden sind, während zum Zentrum hin eine stetige Zunahme von Macht, Ruhm und Unkenntnis zu verzeichnen ist.
    Im geschmolzenen Kern des Party-Planeten gibt es immer eine Party, die das gesellschaftliche »Allerheiligste« bildet – wo ehemalige Präsidenten, Kabinettsminister, Notenbanker, absolute Top-Manager und Angelina Jolie zusammenkommen, um miteinander zu plaudern. Diese Party ist fraglos die langweiligste von allen. Die gesellschaftliche Welt von Davos besteht, wie die gesellschaftlichen Welten überall, aus Ringen von interessanten und unsicheren Menschen, die verzweifelt Eintritt in die Welt der Gelassenen und Selbstzufriedenen begehren.
    Nach einer langen Karriere als erfolgreiche Unternehmerin und anschließend einer steilen politischen Karriere – in Grace’ erster Amtszeit als stellvertretende Stabschefin und in seiner zweiten als Wirtschaftsministerin – hatte Erica Zutritt zum »Allerheiligsten« von Davos erlangt. Sie gehörte zu denjenigen, die zu den exklusivsten und langweiligsten Partys eingeladen wurden.
    Jetzt, im Ruhestand, saß sie in hoch angesehenen Ausschüssen, die sich mit kaum lösbaren Problemen befassten – defizitfinanzierten Staatsausgaben, der Weiterverbreitung von Atomwaffen, der transatlantischen Allianz und der Zukunft von Welthandelsabkommen. Sie gehörte nicht zu den Leuten, deren Gesicht aufleuchtete, wenn sie das Wort »Plenarsitzung« hörten, aber sie war zu einer schlachtgestählten Gipfelteilnehmerin geworden, die dem Sperrfeuer pseudo-gewichtiger, langweiliger Tiraden widerstehen konnte. Sie hatte sich mit anderen ehemaligen Führungspersönlichkeiten von internationalem Format angefreundet, die ebenfalls in diesen Kommissionen saßen und die das Jahr über von Davos nach Jackson Hole und von dort nach Tokio und noch weiter reisten, um ihre tiefe Besorgnis über die drohenden Krisen, für deren Lösung die gegenwärtigen Regierungschefs zu kurzsichtig handelten, zum Ausdruck zu bringen.
    Anfangs war Erica unsicher und gehemmt gewesen, wenn sie mit ehemaligen Präsidenten und internationalen Berühmtheiten sprach. Aber die Scheu fiel recht schnell von ihr ab, und jetzt war es so, als würde sich derselbe alte Strickzirkel wieder einmal in einem weltbekannten Urlaubstort treffen. Ein ehemaliger Minister war in Ungnade zurückgetreten, ein Präsident war im Amt eine völlige Niete gewesen, ein einstiger Außenminister wurde auf eine unwürdige Art und Weise aus dem Amt gejagt. Die wunden Punkte der Einzelnen wurden gemieden, und in der rauen Welt, in der sie sich behauptet hatten, wurde alles vergeben.
    Und was ihre Gespräche anlangte: Sie waren der schlimmste Alptraum für jeden Verschwörungsfreak. Es stellte sich heraus, dass diejenigen, die an der Spitze der bedeutendsten internationalen Institutionen stehen, in vertrauter Runde am liebsten über Golf, Mittel gegen Jetlag und Gallensteine reden. Die Tage waren angefüllt mit hochtrabenden Diskussionen über die drohende Gefahr eines zunehmenden Protektionismus, die Abende von einem intensiven Erfahrungsaustausch über den Zustand der Prostata. Alle, die an diesen Treffen teilnahmen, mussten die sogenannte die Chatham-House-Regel beachten, ein ungeschriebenes, ehernes Gesetz, wonach niemand etwas Interessantes erzählen durfte. Der Höhepunkt dieser abendlichen Konversationen war das angelegentliche Plaudern aus dem Nähkästchen über jene Tollheiten, die sich in den Hinterzimmern der Macht ereigneten.
    Ehemalige internationale Führungspersönlichkeiten verfügen zwangsläufig über einen Fundus von Hinterzimmer-Anekdoten, aus dem sie schöpfen, um andere Gäste bei Abendgesellschaften damit zu unterhalten. Ein Ex-Präsident berichtete, wie er einmal den großen Fehler beging, gegenüber dem starken Mann Russlands, Wladimir Putin, mit seinem Hund zu prahlen. Beim nächsten Moskauer Gipfeltreffen sei Putin zum Mittagessen mit vier Rottweilern erschienen und habe nun seinerseits

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