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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brooks
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Mobilität steigern sollte. Diese Bewegung nahm ihren Anfang vor einigen Hundert Jahren auf einer kleinen Karibikinsel.
    Im 18. Jahrhundert gab es einen kleinen Jungen, der auf der Insel St. Croix in der Karibik lebte. Sein Vater machte sich aus dem Staub, als er zehn war. Seine Mutter starb in dem Bett neben seinem, als er zwölf war. Er wurde von einem Cousin adoptiert, der sogleich Selbstmord beging. Seine verbliebene Familie bestand aus einer Tante, einem Onkel und einer Großmutter. Sie alle starben innerhalb weniger Jahre. Ein Nachlassgericht beschlagnahmte das kleine Anwesen, das er von seiner Mutter geerbt hatte. Er und sein Bruder waren jetzt mittellose Waisen, die völlig auf sich allein gestellt waren.
    Mit 17 Jahren leitete Alexander Hamilton eine Handelsfirma. Mit 24 Jahren war er George Washingtons Stabschef und ein Kriegsheld. Mit 34 hatte er 51 Artikel für die Federalist Papers geschrieben und war der erfolgreichste Anwalt von New York. Mit 40 trat er als der erfolgreichste Finanzminister in der amerikanischen Geschichte ab.
    Hamilton begründete eine politische Tradition, die strebsamen jungen Männern wie ihm helfen sollte. Er wollte eine Nation schaffen, in der ehrgeizige junge Menschen ihre Talente voll zur Geltung bringen konnten, eine Nation, die sie durch ihre Arbeit groß machen würden. »Jedes neue Feld, das der rührigen Natur des Menschen Gelegenheit verschafft, sich aufzuraffen und anzustrengen, führt den allgemeinen Reserven an Tatkraft neue Energie zu.« 30
    »Aufraffen« … »anstrengen« … »Tatkraft«. Das sind typische Worte für Hamilton. Er setzte sich für eine Politik ein, die diese Dynamik fördern sollte. Zu einer Zeit, da viele Menschen der aufkommenden Industrie mit Argwohn begegneten und glaubten, allein die Landwirtschaft schaffe Wert und Wohlstand, trat Hamilton für den Aufbau der Industrie und für technologische Neuerungen ein. Zu einer Zeit, da Börsenhändler und Finanzmärkte von der Oligarchie der Plantagenbesitzer verachtet wurden, setzte sich Hamilton für dynamische Kapitalmärkte ein, die die Nation aufrütteln sollten. Zu einer Zeit, da die Wirtschaft in lokale Lehensgüter zerfallen war, die von Großgrundbesitzern verwaltet wurden, versuchte Hamilton regionale Monopole zu zerschlagen und ökonomische Chancen zu eröffnen. Er verstaatlichte die Schulden aus dem Unabhängigkeitskrieg, schuf Kapitalmärkte und machte die Wirtschaft insgesamt wettbewerbsfähiger. Er glaubte daran, dass sich durch staatliche Maßnahmen zur Förderung des Wettbewerbs die Dynamik der Märkte steigern lasse. 31
    Die Hamilton’sche Tradition wurde im frühen 19. Jahrhundert von Henry Clay und der Whig Party fortgeführt, die sich für Kanäle, Eisenbahnen und andere Verbesserungen einsetzten, um Erwerbschancen zu eröffnen und den Zusammenhalt der Nation zu stärken. Dieses Anliegen machte sich auch ein junger Whig namens Abraham Lincoln zu eigen. Wie Hamilton war auch Lincoln in einer armen Familie aufgewachsen und wurde von einem ruhelosen Ehrgeiz angetrieben. Aber Lincoln hielt mehr Reden über Arbeit und Wirtschaft als über die Sklaverei. Er wollte eine Nation schaffen, die Selbstveränderung begrüßte und sich dem Evangelium der Arbeit verschrieb.
    »Ich behaupte, der Wert des Lebens besteht darin, die eigenen Lebensbedingungen zu verbessern«, sagte er 1861 zu deutschen Einwanderern. 32 Unter seiner Regierung führte man in der Bürgerkriegsära eine einheitliche Währung ein, verabschiedete den Homestead Act (das Heimstättengesetz), den Land Grant College Act sowie die Eisenbahngesetzgebung. Diese Maßnahmen sollten den Amerikanern Ackerland und eine gerechte Chance geben, den Unternehmergeist zu verbreiten, die soziale Mobilität zu verbessern und so die Nation aufzubauen.
    Die nächste große Persönlichkeit in dieser Tradition war Theodore Roosevelt. Auch er glaubte an die charakterbildende Kraft des Wettbewerbs und an dessen Fähigkeit, Menschen hervorzubringen, die jene kraftvollen Tugenden besaßen, die er in seiner Antrittsrede 1905 rühmte: Tatkraft, Selbstsicherheit und Initiative.
    Auch Roosevelt glaubte, die Regierung müsse manchmal eine aktive Rolle spielen, um den Leistungswillen ihrer Bürger zu fördern und jedem in diesem Wettstreit eine gerechte Chance zu geben. »Die eigentliche Aufgabe des Staates, wenn er ins gesellschaftliche Leben eingreift, sollte darin bestehen, die Wettbewerbschancen gleichmäßiger zu verteilen, nicht darin, sie

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