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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brooks
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In ihrem eigenen Fall verhielt es so, dass sie tagsüber Lehrerin war und abends – nicht ganz so erfolgreich, aber nicht weniger wichtiger für sie – als Liedermacherin auftrat.
    Schritt eins
    Die erste Etappe von Harolds Projekt würde darin bestehen, sich Wissen anzueignen. Ms. Taylor sagte ihm, er solle weiterhin Bücher über altgriechische Geschichte lesen und ihr dann eine Liste mit fünf Büchern vorlegen, die er gelesen hatte. Sie gab ihm keinen strukturierten Studienplan; sie wollte, dass er sich diese Bücher selbst beschaffte – ganz so, wie sich Erwachsene Bücher beschaffen, wenn sie sich für ein Thema interessieren, nämlich indem sie bei Amazon nachsehen oder in einem Buchladen herumstöbern, Empfehlungen folgen oder per Zufall auf ein Werk stoßen. Sie wollte, dass er sich in verschiedenen Büchern und bei verschiedenen Autoren informierte, und dann sollte sein Gehirn unbewusst alle diese unterschiedlichen Informationen zu einem Gesamtbild zusammenfügen.
    Bei diesem ersten Arbeitsschritt spielte es keine Rolle, ob Harolds Recherchen etwas dilettantisch waren. Benjamin Bloom hat herausgefunden, dass beim Erwerb von Wissen nicht alles auf Anhieb perfekt laufen muss: »In dieser ersten Lernphase scheint es vor allem darum zu gehen, das Interesse des Lernenden zu wecken, ihn zu fesseln und zu begeistern und den Lernenden dazu zu motivieren, sich weitere Informationen und Sachkenntnisse anzueignen.« 16 Solange Harold neugierig war und ihm seine Recherchen Spaß machten, würde er nach und nach ein Gefühl für das Leben im alten Griechenland entwickeln; er würde gewisse Grundkenntnisse darüber erwerben, wie die Athener und die Spartaner lebten und kämpften und was sie dachten. Dieses konkrete Wissen diente gewissermaßen als Haken, an dem alle nachfolgend erworbenen Kenntnisse aufgehängt werden würden.
    Menschliches Wissen lässt sich nicht mit Informationen vergleichen, die in den Datenbanken eines Rechners gespeichert sind. Die »Gedächtnisleistung« eines Rechners wird mit wachsendem Datenbestand nicht besser. Beim Menschen dagegen erzeugt Wissen einen regelrechten Hunger nach mehr Wissen. Menschen, die sich auf einem Gebiet schon etwas auskennen, erwerben schneller neue Kenntnisse in dem Bereich und erinnern sich besser an das, was sie gelernt haben.
    Bei einem Experiment wurden Drittklässler und College-Studenten gebeten, sich eine Liste von Cartoon-Figuren einzuprägen. Die Drittklässler konnten sich viel besser an die Figuren erinnern, weil sie mit dem Thema besser vertraut waren. Bei einem anderen Experiment sollten sich eine Gruppe von Acht- bis Zwölfjährigen mit unterdurchschnittlicher Lernkompetenz und eine Gruppe von Erwachsenen mit normaler Intelligenz jeweils eine Liste mit den Namen von Popstars einprägen. Auch hier schnitten die Jüngeren viel besser ab. 17 Ihr Grundwissen verbesserte die Gedächtnisleistung.
    Ms. Taylor half Harold dabei, sich Grundwissen anzueignen. Harold las über die Griechen, wo und wann immer er die Gelegenheit dazu hatte. Zu Hause. Im Bus. Nach dem Abendessen. Das veränderte etwas. Viele Leute glauben, dass es gut ist, sich einen ganz bestimmten Ort für die Lektüre auszusuchen, aber zahlreiche Studien belegen, dass sich Menschen Informationen besser merken, wenn sie zwischen verschiedenen Orten wechseln. Die Ortswechsel wirken geistig stimulierend und erzeugen dadurch dichtere Gedächtnis-Netzwerke.
    Nach ein paar Wochen hatte Harold fünf Bücher gelesen – populärwissenschaftliche Darstellungen der Schlachten von Marathon und an den Thermopylen, eine Biografie über Perikles, eine moderne Übersetzung der Odyssee und ein Buch, in dem ein Vergleich zwischen Athen und Sparta angestellt wurde. Diese Bücher prägten maßgeblich sein Bild des Lebens, der Wertvorstellungen und der Gesellschaft im alten Griechenland.
    Schritt zwei
    In ihrer zweiten Sitzung lobte Ms. Taylor Harold für seine Arbeit. Carol Dweck hat herausgefunden, dass die Leistungsmotivation eines Schülers steigt, wenn man ihn für seinen Fleiß lobt. 18 Ein Schüler mit dieser Einstellung ist bereit, sich schwierigen Aufgaben zu stellen, und Fehler sind für ihn Teil des Arbeitsprozesses. Lobt man einen Schüler dagegen wegen seiner Intelligenz, vermittelt ihm dies den Eindruck, eine gute Leistung sei ein angeborener Charakterzug. Schüler mit einer solchen Einstellung wollen weiterhin intelligent erscheinen. Ihre Bereitschaft, sich Herausforderungen zu stellen, ist geringer,

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