Das soziale Tier
zuverlässig zu sein und Pläne erstellen und konsequent umsetzen zu können.
Wesenszüge wie einerseits Beharrlichkeit und andererseits Zurückhaltung haben nicht viel mit dem Bildungsniveau zu tun. Vorstandschefs mit höheren Abschlüssen in Jura oder BWL sind nicht erfolgreicher als Vorstandschefs mit einfachen College-Abschlüssen. Diese Merkmale korrelieren auch nicht mit dem Gehalt oder der Gesamtvergütung. Und sie korrelieren auch nicht mit Ruhm und Anerkennung. Im Gegenteil, Ulrike Malmendier und Geoffrey Tate fanden in einer Studie heraus, dass die Leistungsfähigkeit von Spitzenmanagern mit ihrer öffentlichen Bekanntheit und der Zahl der ihnen verliehenen Auszeichnungen abnimmt. 11
Erica träumte nicht davon, ein glamouröses Schickimicki-Leben zu führen. Sie hatte ein starkes Verlangen nach Kontrolle und Einfluss. Sie legte großen Wert auf Beharrlichkeit, Ordnung und Detailversessenheit.
Familie und Ethnie
Es gibt viele Einflüsse und Kräfte, die im Unbewussten wirken. In ihrem letzten Jahr auf der Highschool wurde Erica ganz unerwartet in einen emotionalen Strudel hineingezogen. Die uralten Stimmen ihrer Vorfahren ertönten auf eine so fordernde Weise in ihr, dass sie ganz überrascht war.
Die Schwierigkeiten begannen, als sie sich um einen Studienplatz an der University of Denver bewarb und eine Zusage erhielt. Die Ergebnisse ihres Studierfähigkeitstests waren eigentlich nicht gut genug, aber ihre Herkunft half ihr.
Als der Zulassungsbescheid aus Denver eintraf, freute Erica sich zwar riesig, aber sie freute sich anders, als es jemand aus Harolds Gesellschaftsschicht getan hätte. Erica stammte aus einem Viertel, in dem die Starken überleben und die Schwachen gefressen werden. Für sie war die Zulassung zum Studium an der Universität keine Auszeichnung für ihr wunderbares Selbst. Es war kein prestigeträchtiger Aufkleber, den ihre Mutter an ihr Auto kleben konnte; es war die nächste Front in der Schlacht des Lebens.
Sie zeigte den Zulassungsbescheid ihrem Vater und ihrer Mutter getrennt voneinander. Da brach auf einmal die Hölle los. Erinnern wir uns daran, dass Erica mexikanische und chinesische Vorfahren hatte. Sie hatte zwei Großfamilien, und sie verbrachte Zeit in beiden.
In mancher Hinsicht glichen sich die beiden Familien. Die Mitglieder beider Familienzweige waren uneingeschränkt loyal gegenüber ihren Verwandten. Als Menschen weltweit gefragt wurden, ob sie der Aussage zustimmten »man muss seine Eltern immer lieben und respektieren, ganz gleich, welche Vorzüge und Fehler sie haben«, bejahten dies 95 Prozent der Asiaten und 95 Prozent der Hispanoamerikaner, gegenüber nur 31 Prozent der Niederländer und 36 Prozent der Dänen. 12
Beide Großfamilien von Erica machten sonntagnachmittags große und lange Picknicks in Parks, und auch wenn die Speisen jeweils andere waren, war die Atmosphäre ähnlich. Die Großeltern saßen in den gleichen blauen Klappstühlen im Schatten. Die Kinder schlossen sich zu kleinen Gruppen zusammen.
Aber es gab Unterschiede. Es war schwer, diese Unterschiede in Worte zu fassen. Jedes Mal, wenn Erica die Gegensätze zwischen ihren mexikanischen und ihren chinesischen Verwandten zu erklären versuchte, verfiel sie zu guter Letzt in abgedroschene ethnische Klischees. Die Familie ihres Vaters lebte in einer Welt von Univision, Fußball, Merengue, Reis und Bohnen, Schweinefüßen und in Gedanken an ihren Heimatort in Mexiko. Die Welt der Familie ihrer Mutter dagegen bestand aus Woks, Ahnengeschichten, Ladenöffnungszeiten, Kalligrafie und alten Sprichwörtern.
Die wichtigen Unterschiede aber waren ebenso allgegenwärtig wie schwer zu fassen. Es gab verschiedene Arten der Unordnung in der Küche, verschiedene Gerüche, die einen beim Betreten der Wohnung begrüßten. Die Familien machten unterschiedliche Witze über sich selbst. Ericas mexikanische Verwandte scherzten darüber, dass sie überall zu spät hinkamen. Ihre chinesischen Verwandten machten sich über den ungehobelten Verwandten lustig, der auf den Boden spuckte.
Erica war eine andere Person, je nachdem, welche Verwandten sie besuchte. Bei den Verwandten ihrer Vaters stand sie dichter neben anderen Personen. Sie war lauter. Ihre Arme hingen lockerer an ihrem Körper herab. Im Kreise der Verwandten ihrer Mutter war sie ehrerbietiger, dafür streckte sie beim Essen die Hand aggressiver nach einer Platte auf dem Tisch aus. Bei ihren mexikanischen Verwandten war sie beim Essen wählerisch, bei
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