Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler
denen als Erstes herumgehackt wird.
Der Arzt, ein dünner Mann mittleren Alters mit einer klobigen Brille und einem abgetragenen weißen Kittel, bedeutet Will, er solle sich ausziehen, was der ohne jede Verlegenheit tut. Will zieht sich das Unterhemd über den Kopf, wirft es achtlos neben sich aufs Bett und steigt aus seiner Hose, als wäre sie völlig unwichtig. Ich wende mich verlegen ab, aber das nützt nichts, denn wohin ich auch blicke, haben sich die Jungs meiner Gruppe, zumindest die auf den Betten, ausgezogen und zeigen ihre missgebildeten, verunstalteten und verblüffend unansehnlichen Körper. Das sind alles junge Männer zwischen achtzehn und zwanzig, und es überrascht mich, wie unterernährt und blass sie wirken. Ich sehe schmale Brustkörbe, eingefallene Bäuche und wabblige Hinterteile. Zwei bilden das andere Extrem, sind übergewichtig und unförmig, mit dicken Speckfalten, die ihnen wie Brüste herunterhängen. Als auch ich mich ausziehe, danke ich stumm dem Bauunternehmen, für das ich die letzten anderthalb Jahre gearbeitet habe. Diese Arbeit hat meine Muskeln geformt, und ich frage mich gleich, ob mein vergleichsweise guter Zustand womöglich dazu führt, dass ich früher als die anderen an die Front geschickt werde.
Ich wende meine Aufmerksamkeit erneut Will zu, der aufrecht wie ein Zaunpfahl dasteht und beide Arme vor sich hinstreckt, während der Doktor ihm in Mund und Rachen blickt und schließlich mit dem Zentimetermaß seinen Brustumfang misst. Ohne zu überlegen, wie es wirken mag, mustere ich ihn in seiner ganzen Größe und staune wieder, wie gut er aussieht. Wie aus dem Nichts taucht dabei plötzlich die Erinnerung an jenen Vormittag in meiner alten Schule vor mir auf, den Tag meines Rauswurfes, eine Erinnerung, die tief verborgen in mir schlummert.
Ich schließe die Augen einen Moment lang, und als ich sie wieder öffne, fange ich Wills Blick auf, der mir den Kopf zugewandt hat. Es ist ein merkwürdiges Gefühl. Warum, frage ich mich, sieht er nicht weg? Und warum sehe ich nicht weg? Etwa drei, vier, fünf Sekunden verharren wir so, dann heben sich seine Mundwinkel zu einem leichten Lächeln, und er blickt endlich wieder geradeaus vor sich hin, atmet dreimal lang und tief aus, wie es der Arzt von ihm verlangt, während er ihm mit einem Stethoskop über den Rücken fährt.
»Danke«, sagt der Arzt ohne jedes Interesse, tritt vor ihn und erklärt, Will könne sich wieder anziehen. »Gut.« Er sieht mich an. »Der Nächste.«
Ich lasse die gleiche Untersuchung über mich ergehen, das gleiche Messen des Pulses und des Blutdrucks, der Größe, des Gewichts und der Lungenleistung. Der Arzt packt meine Hoden und sagt, ich solle husten, was ich schnell tue, damit er wieder loslässt. Dann muss ich die Hände vor mich hinstrecken und sie so ruhig wie nur möglich halten. Ich tue, was er sagt, und ihm scheint das Ergebnis zu gefallen. »Stabil wie ein Fels«, bemerkt er, nickt und macht ein Kreuzchen in seinen Unterlagen.
Später, nach einem fürchterlichen Frühstück mit kaltem Rührei und fettem Speck, sind wir wieder in unserer Schlafbaracke, und ich habe ein wenig Zeit, mich zu orientieren. In einem mit Stellwänden abgetrennten Bereich am anderen Endes des Raumes schlafen Wells und Moody, was ihnen ein gewisses Maß an Privatsphäre zur Erholung von ihren sinnlosen Aufgaben verschaffen soll, nehme ich an. Die Latrine ist draußen, in einer einzelnen Hütte mit ein paar Pinkeltöpfen und etwas weit Schlimmerem, das äußerst übel stinkt und das wir, wie uns gesagt wird, abwechselnd abends zu leeren haben. Den Anfang macht natürlich Wolf.
»Findest du nicht auch, sie hätten uns das Frühstück erst mal verdauen lassen sollen?«, fragt Will, als wir zum Exerzierplatz hinübergehen. Wir halten uns wieder nebeneinander, diesmal mehr in der Mitte des Trupps. »Was meinst du, Tristan? Ich habe das Gefühl, der Dreck könnte mir jeden Moment wieder hochkommen. Na ja, wir sind schließlich im Krieg. Ein Ferienlager ist das hier nicht.«
Sergeant Clayton erwartet uns. In frisch gebügelter Uniform steht er da, bewegt sich nicht und scheint nicht einmal zu atmen, als wir vor ihm Aufstellung nehmen und sich seine zwei Apostel neben ihm postieren.
»Männer«, sagt er endlich, »der Gedanke, Sie hier in den Farben des Regiments trainieren zu sehen, stößt mich ab. Deshalb werden Sie, solange ich es für richtig erachte, in Ihren Zivilkleidern exerzieren.«
Ein leises, enttäuschtes Murmeln
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