Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler
geht: »Eins, zwei, drei, vier!«, und wir tun unser Bestes, eine gewisse Ordnung zu halten, allerdings ohne großen Erfolg.
»Übrigens«, sagt Will einen Augenblick später und sieht mich an, wobei sein Ausdruck etwas Verstörtes annimmt, »wie fandst du unseren Freund Wolf gestern? Ganz schon mutig von ihm, was?«
»Ganz schön dumm«, antworte ich. »Den Sergeant gleich am ersten Tag hier schon so zu ärgern. Auf diese Weise macht er sich nicht gerade Freunde, oder was meinst du?«
»Wahrscheinlich nicht«, sagt Will. »Trotzdem, seinen Mut musst du anerkennen. Sich dem Alten so entgegenzustellen, obwohl er weiß, dass der ihn garantiert dafür fertigmacht. Hast du schon mal einen von denen kennengelernt? Wie nennt man sie noch … von den Kriegsdienstverweigerern?«
»Nein«, sage ich und schüttele den Kopf. »Du?«
»Nur einen«, antwortet er. »Den älteren Bruder eines Schulkameraden. Hieß Larson. Den Vornamen weiß ich nicht mehr genau. Mark oder Martin, irgend so was in der Art. Hat sich geweigert, ein Gewehr in die Hand zu nehmen, aus religiösen Gründen, hat er gesagt, und dass der gute Derby und Kitchener lieber ein bisschen mehr in der Bibel als in ihren Einsatzregeln lesen sollten. Ihm sei egal, was sie mit ihm anstellten, er würde niemals ein Gewehr auf ein Geschöpf Gottes richten, selbst wenn sie ihn dafür einsperrten.«
Ich zische, schüttele voller Abscheu den Kopf und nehme an, dass er diesen Larson genau wie ich für einen Feigling hält. Ich habe nichts gegen Leute, die aus Prinzip dagegen sind, Kriege zu führen, oder diesen jetzt möglichst schnell beenden wollen – das ist schließlich nur verständlich –, aber ich bin der festen Überzeugung, dass es unser aller Verantwortung ist, uns, solange er noch weitergeht, zu melden und unseren Teil beizutragen. Ich bin natürlich noch jung. Und dumm.
»Und? Was ist aus ihm geworden?«, frage ich. »Aus diesem Larson? Haben sie ihn nach Strangeways geschafft?«
»Nein«, antwortet Will und schüttelt den Kopf. »Sie haben ihn an die Front geschickt, als Krankenbahrenträger. So machen sie das, weißt du. Wenn du nicht kämpfen willst, sagen sie, kannst du wenigstens denen helfen, die es tun. Manche müssen auch auf Bauernhöfen helfen, bei Aufgaben von nationaler Bedeutung, wie es heißt. Die haben Glück. Die mit weniger Glück werden eingesperrt, aber die meisten kommen trotzdem hierher.«
»Das scheint doch nur gerecht«, sage ich.
»Nur bis du kapierst, dass ein Krankenbahrenträger an der Front eine Lebenserwartung von etwa zehn Minuten hat. Sie schicken sie aus den Gräben ins Niemandsland, um die Toten und Verwundeten einzusammeln, und das war’s dann. Die Scharfschützen erwischen sie ohne Probleme. Im Prinzip ist das so was wie eine Hinrichtung, und dann sieht es schon nicht mehr so gerecht aus, oder?« Ich lege die Stirn in Falten und überlege. Ich will mit Bedacht antworten, denn mir ist bereits klar, wie wichtig es für mich ist, dass Will Bancroft gut von mir denkt und mich als seinen Freund annimmt. »Natürlich hätte ich es auch selbst probieren können, aus religiösen Gründen und so«, fügt er hinzu. »Mein Vater ist Priester, weißt du, oben in Norwich, und er wollte, dass ich auch einer werde. Ich nehme an, dann wäre ich nicht eingezogen worden.«
»Aber du hattest keine Lust?«
»Nein«, sagt er. »Dieser ganze Quatsch ist nichts für mich. Ich habe nichts dagegen, Soldat zu sein. Oder sagen wir, ich glaube nicht, dass ich was dagegen haben werde. Frag mich in sechs Monaten noch mal. Mein Großvater hat im Transvaal gekämpft, weißt du. War so was wie ein Held da draußen, bevor er umgekommen ist. Mir gefällt der Gedanke, mich als so mutig zu erweisen, wie er es war. Meine Mutter hat immer … Pass auf, wir sind da.«
Wir betreten die Baracke, und Moody teilt uns in Gruppen ein. Ein halbes Dutzend von uns setzt sich auf ein paar Pritschen hinter einer Reihe Vorhänge. Der Rest bleibt stehen und wartet, bis er an die Reihe kommt.
Will und ich gehören zu den Ersten, die untersucht werden. Er hat sich auch hier wieder das letzte Bett ausgesucht, und ich nehme das neben ihm. Ich frage mich, warum er so davor zurückscheut, in der Mitte des Raumes zu sein. Ich persönlich bin gerne in der Mitte. Es gibt mir das Gefühl, Teil von etwas zu sein und weniger aufzufallen. Ich habe die Vorstellung in meinem Kopf, dass sich bald schon Lager in unserer Gruppe bilden und die am Rand diejenigen sein werden, auf
Weitere Kostenlose Bücher