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Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Titel: Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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falle. Die Reise und die Aufregung, endlich hier zu sein, müssen mich erschöpft haben, und dann ist es auch schon wieder Morgen, und unsere beiden Corporals brüllen, wir sollen gefälligst unsere verfluchten Ärsche aus den Betten bewegen, sonst tun sie’s für uns mit ihren verfluchten Stiefeln.
    Ich habe die zweitletzte Pritsche auf der linken Seite, wo mir die Sonne, sollte sie morgens schon aufgegangen sein, durch ein kleines Fenster oben unter der Decke direkt ins Gesicht scheinen würde. Will Bancroft war einer der Ersten im Raum und hat das Bett ganz am Ende belegt, das das beste ist, weil er auf einer Seite die Wand und damit nur einen Nachbarn hat, mich. Drei Betten weiter auf der anderen Seite liegt Wolf, der seit gestern schon gehörig herumgeschubst worden ist. Zu meiner Überraschung hat sich Rich das Bett neben ihm ausgesucht, und ich frage mich, ob das eine Art Entschuldigung oder eine Drohung sein soll.
    Will und ich haben uns kurz zugenickt, bevor wir in unsere Betten gefallen sind, aber als wir aus ihnen hochspringen, ich nach links und er nach rechts, rammen wir gegeneinander, kippen zurück und halten uns die Köpfe. Wir lachen und entschuldigen uns schnell, bevor wir uns am Fußende unserer Betten aufstellen, wo Moody uns erklärt, dass wir uns auf schnellstem Weg zur Ärztebaracke zu bewegen haben. Wir sollen untersucht werden – noch eine Untersuchung nach der bei meiner Musterung in Brentford –, worauf endgültig entschieden sein wird, ob wir nun für das Empire unseres Königs kämpfen dürfen oder nicht.
    »Was unwahrscheinlich ist«, sagt Moody, »ich habe jedenfalls mein ganzes Leben lang noch keinen solchen Haufen degenerierter, verfluchter Sonderlinge gesehen. Wenn unser Sieg von euch abhängt, polieren wir am besten unsere Guten Morgens und Gute Nachts auf, die werden wir dann nämlich bald schon brauchen.«
    Draußen fallen Will und ich in unserer Gruppe zurück. Mit nichts als unserer Unterwäsche bekleidet, tapsen wir barfuß über den rauen Kies, und schließlich gehen wir nebeneinander. Er hält die Hand in meine Richtung.
    »Will Bancroft«, sagt er.
    »Tristan Sadler.«
    »Sieht so aus, als würden wir während der nächsten Wochen Nachbarn sein. Du schnarchst doch nicht?«
    »Keine Ahnung«, sage ich. Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht. »Bisher hat mir das noch niemand gesagt. Wie steht’s mit dir?«
    »Wenn ich auf dem Rücken liege, heißt es, blas ich das Dach vom Haus, aber ich scheine mir antrainiert zu haben, auf der Seite zu schlafen.«
    »Wenn du damit anfängst, roll ich dich schon richtig hin«, sage ich mit einem Lächeln. Er lacht auf, und ich spüre eine erste Kameradschaft zwischen uns.
    »Das soll mir recht sein«, sagt er nach einer Weile.
    »Wie viele Brüder hast du denn?«, frage ich, weil ich annehme, dass die es waren, die ihn auf sein Schnarchen hingewiesen haben.
    »Keine«, sagt er. »Nur eine ältere Schwester. Bist du ein Einzelkind?«
    Ich zögere, spüre einen Kloß in der Kehle und weiß nicht, ob ich die Wahrheit sagen soll. »Ich habe auch eine Schwester. Laura«, sage ich und belasse es dabei.
    »Ich war immer froh, meine Schwester zu haben«, sagt Will. »Sie ist ein paar Jahre älter als ich, aber wir kümmern uns um einander, wenn du verstehst, was ich meine. Ich musste ihr versprechen, dass ich ihr regelmäßig schreibe, und das Versprechen halte ich.«
    Ich nicke und sehe ihn mir etwas genauer an. Er ist ein gut aussehender Kerl mit zerzaustem, dunklem Haar, leuchtend blauen Augen, die auf Abenteuer aus zu sein scheinen, und runden Wangen, in denen sich Grübchen bilden, wenn er lächelt. Er ist nicht unbedingt muskulös, aber seine Arme ragen dennoch kräftig aus seinem ärmellosen Unterhemd hervor. Er wird wohl kaum Schwierigkeiten haben, denke ich, Bettgenossen zu finden, die ihn auf die Seite rollen, wenn er zu laut schnarcht.
    »Was ist, Tristan?«, fragt er und sieht mich an. »Du wirst ja plötzlich ganz rot.«
    »Das ist die Tageszeit«, erkläre ich und wende den Blick ab. »Und ich bin zu schnell aufgestanden. Da schießt mir immer das Blut in den Kopf.«
    Er nickt, und wir gehen weiter. Wir bilden die Nachhut unserer Truppe, die zu dieser frühen Stunde nicht mehr ganz so begeistert und beseelt scheint wie noch gestern Nachmittag beim Aussteigen aus dem Zug. Die meisten laufen stumm für sich, den Blick mehr auf die Erde als auf die Ärztebaracke vor uns gerichtet. Wells gibt den Schritt vor, schreit so laut es nur

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