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Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Titel: Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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Warum?«
    »Nur so«, sagt er. »Es kam mir so vor, als ob du ziemlich interessiert daran wärst, was er machte, das ist alles. Du planst doch nicht etwa, davonzulaufen und dich den Sanis anzuschließen?«
    Ich spüre, wie ich rot anlaufe – ihm ist also aufgefallen, dass ich ihn angestarrt habe –, und drehe mich um, damit er es nicht sieht. »Nein, nein, Bancroft«, sage ich. »Ich bleibe beim Regiment.«
    »Freut mich, das zu hören, Tristan«, sagt er und beugt sich so weit zu mir hin, dass ich einen leichten Schweißgeruch auffangen kann. Es fühlt sich an, als legte sich sein Geist auf mich. »Nur dass wir hier mit einem Trupp Nichtskönner zusammenhocken, wie mir scheint. Corporal Moody liegt vielleicht gar nicht so falsch. Da ist es gut, einen Freund gefunden zu haben.« Ich lächle, sage jedoch nichts. Ein Stich fährt mir bei seinen Worten durch den Körper, wie ein Messer, das tief in meine Brust dringt und auf den Schmerz hinweist, der sicher folgen wird. Ich schließe die Augen und versuche, nicht intensiver darüber nachzudenken. »Und zum Teufel, Tristan, hör endlich auf, mich Bancroft zu nennen, klar?« Damit lässt er sich so schwungvoll auf sein Bett zurückfallen, dass die Federn unter seinem Gewicht aufschreien. »Ich heiße Will. Ich weiß, hier nennen sich alle beim Nachnamen, aber wir sind anders, glaube ich. Lassen wir uns von denen nicht unterkriegen, okay?«
    In den nachfolgenden Wochen stehen wir ein so qualvolles Training durch, dass ich nicht glauben kann, mir so lange gewünscht zu haben, in die Armee zu kommen. Unser Weckruf ertönt an den meisten Tagen um fünf Uhr früh, und dann haben wir, überwacht von Wells und Moody, drei Minuten Zeit, um aus dem Bett zu springen, uns anzuziehen und draußen vor dem Gebäude Haltung anzunehmen. Meist stehen wir da wie betäubt, und wenn wir das Lager gleich anschließend für einen Vier-Stunden-Marsch verlassen, schreien unsere Körper vor Schmerzen. An diesen Tagen stelle ich mir vor, dass nichts schlimmer sein kann als die Grundausbildung. Bald werde ich erfahren müssen, wie sehr ich mich auch darin täusche.
    Das Ergebnis des Ganzen ist jedoch, dass sich unsere jungen Körper verändern. Die Muskeln um Waden und Brustkorb entwickeln sich zu harten Paketen, und die Bäuche nehmen eine Festigkeit an, die uns allmählich wie Soldaten aussehen lässt. Selbst die von uns, die übergewichtig in Aldershot angekommen sind – Turner, Hobbs, Milton und der praktisch fettsüchtige Denchley –, verlieren reichlich Gewicht und machen einen weitaus gesünderen Eindruck.
    Wir müssen nicht schweigend marschieren und führen für gewöhnlich leise, murrende Gespräche. Ich schließe gute Kontakte zu den meisten aus der Truppe, hänge mich morgens aber normalerweise an Will, und auch er scheint damit zufrieden, seine Zeit mit mir zu verbringen. Ich habe in meinem Leben nicht viele Freunde gehabt. Der Einzige, der mir etwas bedeutet hat, war Peter, und der hat mich für Sylvia verlassen. Und nach dem Vorfall in der Schule hat meine Schande dafür gesorgt, dass ich ihn nie wieder zu Gesicht bekommen habe.
    Eines Nachmittags dann, während einer seltenen einstündigen Pause in der Baracke, kommt Will herein, findet mich allein vor und springt voller Übermut quietschend und kreischend wie ein Kind auf mich drauf. Ich werfe ihn ab, und wir rollen über den Boden, packen und stoßen einander und lachen ausgelassen. Als er mich endlich unter sich hat und mir die Arme neben dem Kopf auf den Boden drückt, die Knie rechts und links von meinem Körper, fällt ihm das dunkle Haar in die Augen, und ich bin sicher, dass er einen Moment lang auf meine Lippen sieht, den Kopf leicht neigt und sie anstarrt. Sein Körper wölbt sich vor, und ich hebe ein Knie und lächle. Wir sehen einander an. »Ach, Tristan«, sagt er wehmütig. In diesem Moment hören wir jemanden an der Tür. Will springt auf und dreht sich von mir weg. Robinson kommt herein, und als Will wieder zu mir rübersieht, stelle ich fest, dass er meinen Blick nicht zu erwidern vermag.
    Vielleicht ist es deshalb gar nicht so ungewöhnlich, dass ich vor Eifersucht platzen könnte, als ich bei einem frühmorgendlichen Marsch, nachdem ich kurz stehen geblieben bin, um mir die Schnürbänder festzuziehen, beim Wiederaufrichten sehe, dass ich Will zwischen den anderen verloren habe. Ich dränge mich vor und gebe mir dabei alle Mühe, meine Absicht nicht erkennen zu lassen, und dann sehe ich, dass er vor den

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