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Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Titel: Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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ich. »Aber im Moment lieber nicht, wenn Sie nichts dagegen haben.«
    »Ich habe nichts dagegen«, sagte sie, steckte das Etui zurück in ihre Tasche und zündete sich die Zigarette mit einer schnellen, flüssigen Bewegung von Daumen, Handgelenk und Feuerzeug an. »Was sollte ich dagegen haben? Oh, hallo, Jane, guten Morgen.«
    »Guten Morgen, Marian«, sagte die Kellnerin, die schon zuvor an meinen Tisch gekommen war.
    »Ich bin zurück. Wie die verlorene Tochter.«
    »Wie du weißt, schätzen wir unsere verlorenen Töchter. Was wären wir ohne sie? Mögt ihr bestellen?«
    »Essen wir schon, Mr Sadler?«, fragte Marian Bancroft und blies mir den Rauch ins Gesicht, worauf ich den Kopf abwandte und sie den Rauch mit der rechten Hand wegwedelte. Als sie den nächsten Zug nahm, wandte sie den Kopf zur Seite. »Oder sollen wir erst nur einen Tee trinken? Ich denke, Tee«, sagte sie, ohne auf eine Antwort zu warten. »Tee für uns beide, Jane.«
    »Nichts zu essen?«
    »Noch nicht. Sie sind doch nicht in Eile, Mr Sadler? Oder haben Sie schon Hunger? Es kommt mir so vor, als hätten die jungen Männer dieser Tage immer Hunger. Wenigstens die, die ich kenne.«
    »Nein, ich bin nicht hungrig«, sagte ich, leicht verwirrt durch ihre Schroffheit. War das eine Fassade, fragte ich mich, oder ihre natürliche Art?
    »Also zunächst nur zwei Tee. Vielleicht essen wir später einen kleinen Happen. Wie geht’s Albert übrigens? Fühlt er sich besser?«
    »Ein bisschen«, sagte die Kellnerin und lächelte jetzt. »Der Arzt sagt, der Gips kommt wahrscheinlich in einer Woche ab. Er kann es nicht erwarten, der arme Kerl. Ich übrigens auch nicht. Ständig juckt es ihn darunter, und mit seiner Stöhnerei hält er das ganze Haus in Atem. Ich habe ihm eine Stricknadel gegeben, damit er sich kratzen kann, aber dann habe ich auch wieder Angst, dass er es zu heftig tut und sich verletzt. Also habe ich sie ihm wieder weggenommen, und jetzt stöhnt er noch mehr als vorher.«
    »Fürchterlich«, sagte Marian. »Aber es ist ja nur noch eine Woche.«
    »Ja. Und deinem Vater, dem geht es gut?«
    Marian nickte und nahm einen langen Zug aus ihrer Zigarette, lächelte und wandte den Blick ab, womit das Gespräch beendet und Jane entlassen war.
    »Ich bringe dann den Tee«, sagte die Kellnerin, die begriff, was von ihr verlangt wurde, und ging davon.
    »Eine furchtbare Geschichte«, sagte Marian und beugte sich in meine Richtung, als Jane außer Hörweite war. »Es ist ihr Mann, verstehen Sie. Die beiden sind erst seit einigen Monaten verheiratet. Vor sechs Wochen hat er ein paar Schindeln erneuert und ist vom Dach gefallen. Hat sich das Bein gebrochen, und dabei hatte er sich gerade erst von einem gebrochenen Arm erholt. Spröde Knochen, nehme ich an. Es ist nicht so, dass er besonders tief gefallen wäre.«
    »Ihr Ehemann?«, fragte ich überrascht. »Für mich klang es, als sprächen Sie von einem Kind.«
    »Nun, er ist auch ein ziemliches Kind«, sagte sie und zuckte mit den Schultern. »Persönlich bedeutet er mir nicht besonders viel, er hat immer irgendwelchen Unsinn im Kopf, aber Jane ist nett. Sie hat früher mit mir gespielt und …« Sie hielt inne, und ihre Miene fiel in sich zusammen, als könnte sie nicht glauben, was sie da beinahe gesagt hätte. Sie nahm einen letzten Zug von ihrer Zigarette und drückte sie halb geraucht im Aschenbecher aus. »Das reicht jetzt«, sagte sie. »Wissen Sie, ich überlege ernsthaft, ob ich nicht damit aufhören soll.«
    »Ach ja?«, fragte ich. »Aus einem besonderen Grund?«
    »Ich genieße es längst nicht mehr so wie früher. Und dann kann ich mir auch nicht vorstellen, dass es gut für einen ist. Sie etwa? Sich jeden Tag diesen ganzen Rauch in die Lunge zu pumpen. Das klingt nicht sehr vernünftig, wenn Sie darüber nachdenken.«
    »Ich kann mir nicht vorstellen, dass es einem wirklich schadet«, sagte ich. »Alle rauchen.«
    »Sie nicht.«
    »Doch«, antwortete ich. »Ich hatte nur im Moment keine Lust darauf.«
    Sie nickte und verengte die Augen, als wollte sie in mich hineinsehen. Wir sagten eine Weile nichts, was mir die Gelegenheit gab, sie etwas genauer zu betrachten. Marian war älter als Will und ich, etwa fünfundzwanzig, stellte ich mir vor, aber sie trug keinen Ehering am Finger, was mich annehmen ließ, dass sie noch unverheiratet war. Sie sah Will nicht sehr ähnlich. Er war ein dunkler, frecher Typ gewesen, immer bereit zu einem Zwinkern oder Lächeln, sie war blond, fast so hell wie

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