Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler
sein, aber doch nicht solch ein Ungeheuer. Ich bin sicher, er will keinen von uns tot sehen.«
»Sei nicht so naiv«, fährt Will mich an. »Er wollte Wolf tot sehen, das ist mal sicher. Und am Ende hat er’s erreicht.«
»Wolf hat sich selbst umgebracht«, sage ich. »Vielleicht nicht mit Absicht, aber durch seine eigene Dummheit. Nur ein Idiot läuft mitten in der Nacht durch den Wald da.«
»Oh, Tristan«, sagt Will und schüttelt den Kopf. Die leise Art, wie er meinen Namen flüstert, erinnert mich an das eine Mal, als er mich nach unserem gespielten Ringkampf in der Baracke unter sich hatte. Er streckt die Hand aus, klopft mir einmal, zweimal aufs Knie, seine Hand bleibt beim dritten Mal kurz liegen, bevor er sie zurückzieht. »Du bist manchmal wirklich unglaublich unschuldig. Das ist einer der Gründe, warum ich dich so mag.«
»Sei nicht so herablassend«, erwidere ich verärgert über seinen Ton. »So viel, wie du denkst, weißt du auch wieder nicht.«
»Was soll ich denn sonst sagen?«, fragt er. »Du scheinst schließlich zu glauben, dass Wolf seinen Unfall selbst herbeigeführt hat. Sowas kann nur eine reine Seele glauben. Oder ein fürchterlicher Narr. Wolf ist nicht gestürzt, Tristan. Er hat sich nicht umgebracht. Er ist ermordet worden. Kaltblütig ermordet.«
»Was?«, frage ich und muss über die Absurdität seiner Worte fast lachen. »Wie kannst du so etwas auch nur denken? Gott noch mal, Will, er ist aus dem Lager davongelaufen. Er …«
»Nirgends ist er hingelaufen«, sagt Will zornig. »Nur ein paar Stunden vorher, vorm Schlafengehen, hat er mir erzählt, dass sie ihn als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen anerkannt haben. Das Tribunal hatte endlich eine Entscheidung gefällt, und er musste nicht mal als Krankenbahrenträger mit ins Feld. Wie sich herausgestellt hat, war er ziemlich gut in Mathematik und hatte sich einverstanden erklärt, im Kriegsministerium zu arbeiten und für den Rest des Krieges unter Hausarrest zu stehen. Er wäre nach Hause gefahren, Tristan. Heute Morgen. Und dann verschwindet er einfach so. Das ist schon ein äußerst merkwürdiger Zufall, findest du nicht?«
»Wer sonst hat noch davon gewusst?«, frage ich.
»Clayton natürlich. Mit Sicherheit Wells und Moody, seine finsteren Wasserträger. Und noch ein, zwei weitere Männer, nehme ich an. Es hat letzte Nacht noch spät die Runde gemacht, wie ich gehört habe.«
»Ich hab nichts gehört.«
»Das heißt nicht, dass es nicht so war.«
»Was willst du damit sagen?«, frage ich. »Dass sie ihn weggeschafft und umgebracht haben?«
»Natürlich, Tristan. Meinst du etwa, dass sie dazu nicht fähig wären? Wozu sind wir hier denn ausgebildet worden, wenn nicht dazu, andere Soldaten umzubringen? Die Farbe der Uniform macht da keinen großen Unterschied. Im Dunkeln sehen sowieso alle gleich aus.«
Ich öffne den Mund, um etwas zu sagen, finde aber keine Worte. Das alles klingt völlig plausibel. Und dann erinnere ich mich plötzlich daran, wie ich letzte Nacht aufgewacht bin, und höre das Rascheln von Bettzeug, das Treten und »Schschsch!«-Zischen wieder. Als würden sie jemanden wegzerren.
»Mein Gott!«
»Da hast du es«, sagt Will erschöpft und nickt mit dem Kopf. »Aber was können wir schon daran ändern? Nichts. Wir haben getan, wozu wir hergekommen sind. Haben exerziert und uns stark gemacht. Wir sind darauf abgerichtet worden, dass der Mensch vor uns, der nicht unsere Sprache spricht, ein Stück Fleisch ist, das vom Knochen gelöst werden muss. Wir sind die vollkommenen Krieger. Bereit zu töten. Sergeant Claytons Arbeit ist getan. Wir haben nur schon etwas früher damit angefangen, das ist alles.«
Er sagt das mit einer solchen Wut, einer solchen Mischung aus Grauen, Furcht und Feindseligkeit, dass ich ihn nur noch trösten will. Einen Moment später senkt er den Kopf in seine Hände, und ich spüre, dass er weint. Ich weiß nicht, was ich tun soll, und er blickt auf und hält das Gesicht halb hinter seiner Hand verborgen, damit ich nicht sehe, wie verunsichert er ist.
»Nicht«, sagt er und schluckt. »Geh zurück ins Lager, Tristan, bitte.«
»Will«, sage ich und strecke die Hand aus. »Ist schon gut. Es macht mir nichts. Wir alle fühlen es. Wir sind alle verloren.«
»Ach, verdammt!«, sagt er und sieht mich an. »Lieber Gott, Tristan, was wird mit uns? Ich habe so eine fürchterliche Angst. Wirklich.«
Er streckt beide Hände in meine Richtung, fasst mein Gesicht und zieht mich
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