Das Spektrum der Toten
zu helfen.
Beide teilten Massen mit, sie wollten zu dritt am Rhein, nahe der Schnellenburg, einen Geldtransport überfallen. Rätselhaft bleibt, warum Massen trotz seiner erneut drohenden Verhaftung bereit war, an dem Raubzug teilzunehmen.
Am nächsten Tag trafen sich Brettschneider, Beh und Massen abends an der Schnellenburg. Es begann schon zu dunkeln. Sie versteckten sich in einem Gebüsch. Aber der Wagen mit dem Geldtransport kam nicht. Massen wurde müde. Er legte sich bäuchlings nieder und schlief ein. Brettschneider zog seine Pistole und schoss den Schlafenden in den Rücken. Massen bäumte sich jäh auf. Bevor er begreifen konnte, was mit ihm geschah, tötete ihn Brettschneider mit einem Schuss in den Hinterkopf.
Brettschneider und Beh schleppten die Leiche ans Rheinufer. Nun war es völlig dunkel. Brettschneiders Mut hatte für den Mord ausgereicht. Jetzt fühlte er sich ganz elend. Doch die Tat musste vollendet werden, es durfte keine Spur zurückbleiben. Er hatte einen Strick mitgebracht, den übergab er Beh. »Binde ihm den Strick um den Bauch.« Brettschneider suchte nach einem großen Stein, fand einen und übergab ihn Beh. »Den Stein an den Strick!« Beh befestigte den Stein am Strick. »Und jetzt schmeiß ihn in den Rhein!«
Aber der Tote war Beh zu schwer. Brettschneider musste mit Hand anlegen. Sie warfen die Leiche ins Wasser.
Sie versank nur langsam in der Tiefe.
Nach Hause zurückgekehrt, wusch sich Brettschneider die Hände. Er setzte sich hin und dachte nach. Hatte er wirklich keine Spuren hinterlassen? War der Mord wirklich der einzige Ausweg gewesen? Er sah sich auf Massen schießen - in den Rücken, in den Kopf. Sah, wie sie die blutige Leiche zum Rheinufer schleppten. Er betrachtete sein Hände. Er glaubte, noch Reste von Blut daran zu erkennen. Er erhob sich und ging zum Wasserhahn, schrubbte sich die Hände erneut.
Bevor er sich zu Bett legte, wusch er die Hände zum dritten Mal.
In den nächsten Tagen machte ihn dieser Drang, sich ständig die Hände zu waschen, fast wahnsinnig.
Nach einer Woche las er im Düsseldorfer Tageblatt, bei der Schnellenburg sei eine unbekannte Wasserleiche aufgetaucht. Es liege Mord vor, vom Täter fehle jede Spur.
Brettschneider beschloss, zur Beichte zu gehen. Aber die Absolution erleichterte ihn nicht.
Erst nach Wochen konnte er sich allmählich von seinem Waschzwang befreien.
Den nächsten Einbruch unternahm er zusammen mit seinem Bruder. Brettschneider stieg in ein Haus ein, der Bruder stand Wache. Als er bereits in der fremden Wohnung war, hörte Brettschneider draußen einen Wortwechsel. Er ging zum Fenster. Ein Polizist wollte seinem Bruder gerade Handschellen anlegen. Brettschneider sprang hinaus auf die Straße und schoss auf den Polizisten. Der brach zusammen. Die beiden Brüder ließen ihn liegen und liefen davon - einer Polizeistreife genau in die Arme.
Brettschneider wurde wegen Mordversuchs zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. In der Haftanstalt galt Brettschneider als ruhiger und bescheidener Gefangener. 1923 wurde er entlassen. Schon ein Jahr später erhielt er wegen neuer Straftaten wiederum eine Freiheitsstrafe von mehreren Jahren.
Brettschneider teilte die Zelle mit zwei weiteren Häftlingen, Paul Krüger und Otto Kuhnert.
Eines Tages, bei einem Hofspaziergang kurz vor Weihnachten, gingen Brettschneider und Krüger nebeneinander. Brettschneider wies auf einen Häftling vor ihnen, der habe seiner Frau die Kehle durchgeschnitten. Krüger nahm diese Nachricht schweigend auf. Nach einer Weile meinte Brettschneider, das sei eine eigene Sache: Wenn man einen Mord begangen hätte, das könnte man nicht so einfach wegstecken. Er hätte auch schon mal so was gemacht.
Krüger dachte, der will sich nur interessant machen, nie und nimmer ist der ein Mörder.
In der Weihnachtsnacht lag Krüger schlaflos auf seiner Pritsche. Er war zum ersten Mal im Gefängnis, noch Untersuchungsgefangener, Kummer und Sorgen hielten ihn wach. Er hörte, wie sich Brettschneider unruhig hin und her warf und stöhnte.
»Kannst du auch nicht schlafen?« fragte Krüger. Er bekam keine Antwort. Krüger merkte, dass Brettschneider schlief und sich im Schlaf so hin und her wälzte.
Plötzlich murmelte Brettschneider: »Strick um den Bauch!«
Krüger war verwirrt. Brettschneider war also doch wach. »Was für einen Strick?« fragte er.
Krüger erhob sich und trat an Brettschneiders Bett.
»Was für einen Strick?« fragte er erneut.
Schnarchende Laute
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