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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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entzückt, es wieder zu sehen. Im Alter zwischen zehn und zwölf, als sie sich endlich überzeugen ließ, es in den Altkleidersack zu stopfen, musste sie das alberne Ding zu zwei Dutzend Schlummerpartys getragen haben.
    Punkins Haar, das ihr Gesicht vollkommen verborgen hatte, solange der Pranger ihr den Kopf nach unten drückte, war jetzt mit einer mitternachtsblauen Schleife zurückgebunden. Das Mädchen sah reizend und durch und durch glücklich aus, was Jessie nicht im Geringsten überraschte. Schließlich war das Mädchen seinen Fesseln entkommen; es war frei. Jessie verspürte deswegen keine Eifersucht auf es, nur den ausgeprägten Wunsch – ja fast das Bedürfnis -, ihm zu sagen, dass es mehr tun musste, als sich seiner Freiheit einfach nur zu erfreuen; es musste sie schätzen und beschützen und genießen.
    Ich hin doch eingeschlafen. Ich muss eingeschlafen sein, denn dies kann nur ein Traum sein.
    Noch ein Krampf, dieses Mal nicht so schlimm wie der andere, der ihren Solarplexus in Brand gesteckt hatte, verzerrte die Muskeln in ihrem rechten Bein, so dass der rechte Fuß komisch in der Luft herumfuchtelte. Sie schlug die Augen auf und sah das Schlafzimmer, wo das Licht wieder lang und schräg geworden war. Noch nicht ganz das, was die Franzosen l’heure bleue nannten, aber diese Zeit rückte zusehends näher. Sie hörte die schlagende Tür und roch ihren Schweiß, Urin und sauren, erschöpften Atem. Alles war genau so, wie es gewesen war. Die Zeit bewegte sich vorwärts, aber sie war nicht vorwärts gesprungen, wie es häufig der Fall war, wenn man aus einem unfreiwilligen Nickerchen erwachte. Ihre Arme waren ein wenig kälter, dachte sie, aber nicht mehr oder weniger abgestorben als zuvor. Sie hatte nicht geschlafen und nicht geträumt … aber sie hatte etwas gemacht.
    Und das kann ich wieder, dachte sie und machte die Augen zu. Im selben Augenblick stand sie wieder in dem unvorstellbar großen Stadtpark. Das Mädchen, dem das riesengroße Ausrufezeichen zwischen den knospenden Brüsten wuchs, sah sie ernst und reizend an.
    Eins hast du noch nicht versucht, Jessie.
    Das stimmt nicht, sagte sie zu Punkin. Ich habe alles versucht, glaub mir. Und weißt du was? Ich glaube, wenn ich die elende Dose Gesichtscreme nicht fallen lassen hätte, als der Hund reingekommen ist, wäre es mir vielleicht gelungen, mich aus der linken Handschelle zu zwängen. Es war Pech, dass der Hund gerade da reingekommen ist. Oder schlechtes Karma. Oder irgendwas.
    Das Mädchen kam näher, und das Gras flüsterte unter seinen bloßen Füßen.
    Nicht die linke Handschelle, Jessie. Aus der rechten kannst du dich rauszwängen. Zugegeben, es ist nur eine vage Möglichkeit, aber immerhin. Die Frage ist nur, ob du wirklich überleben willst.
    Selbstverständlich will ich überleben!
    Noch näher. Die Augen – eine dunstige Farbe, die blau zu sein versuchte, es aber nicht ganz schaffte – schienen jetzt durch ihre Haut direkt in ihr Herz zu sehen.
    Wirklich? Ich weiß nicht.
    Was soll das, bist du verrückt? Glaubst du, ich möchte noch hier und an dieses Bett gefesselt sein, wenn …
    Jessie schlug langsam wieder die Augen auf, die sich nach all den Jahren immer noch bemühten, blau zu sein, und es immer noch nicht ganz schafften. Sie sahen sich mit einem Ausdruck ängstlicher Ernsthaftigkeit im Zimmer um. Sahen Jessies Mann, der jetzt in einer unmöglich verkrümmten Haltung dalag und zur Decke starrte. »Ich will nicht mehr mit Handschellen an dieses Bett gefesselt sein, wenn es dunkel wird und der Schwarze Mann zurückkommt«, sagte sie dem menschenleeren Zimmer.
    Mach die Augen zu, Jessie.
    Sie machte sie zu. Punkin stand in ihrem alten Flanellnachthemd da und betrachtete sie gelassen, und jetzt konnte Jessie auch das andere Mädchen sehen – das dicke mit der pickligen Haut. Das dicke Mädchen war nicht so glücklich wie Punkin gewesen; sie war nicht entkommen, es sei denn, dass in manchen Fällen der Tod selbst ein Entkommen war – eine Hypothese, die Jessie mittlerweile bereitwillig akzeptierte. Das dicke Mädchen war entweder erstickt oder hatte eine Art Anfall gehabt. Ihr Gesicht war so pupurschwarz wie Gewitterwolken im Sommer. Ein Auge war aus der Höhle gequollen; das andere war aufgeplatzt wie eine zerquetschte Traube. Die Zunge, blutig, weil sie in den letzten Zuckungen mehrmals darauf gebissen hatte, ragte zwischen den Lippen hervor.
    Jessie drehte sich erschauernd wieder zu Punkin um.
    So will ich nicht enden. Was auch

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