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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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immer nicht mit mir in Ordnung sein mag, so will ich nicht enden. Wie bist du entkommen?
    Herausgeflutscht, entgegnete Punkin prompt. Dem Teufel aus der Hand geflutscht; hinüber ins Gelobte Land geglitscht.
    Jessie spürte trotz ihrer Erschöpfung pochende Wut.
    Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Ich habe die verfluchte Niveadose fallen lassen! Der Hund ist reingekommen und hat mich erschreckt, und ich habe sie fallen lassen! Wie kann ich …
    Mir ist auch die Sonnenfinsternis eingefallen. Punkin sprach so brüsk wie jemand, dem ein komplexes, aber sinnloses gesellschaftliches Verhaltensmuster auf den Wecker geht; du machst einen Hofknicks, ich verbeuge mich, wir fassen uns alle an den Händen. So bin ich wirklich rausgekommen; ich habe mich an die Sonnenfinsternis erinnert und daran, was sich während dieser Sonnenfinsternis auf der Veranda abgespielt hat. Und daran musst du dich auch erinnern. Ich glaube, es ist deine einzige Chance, dich zu befreien. Du kannst nicht mehr weglaufen, Jessie. Du musst stehen bleiben und der Wahrheit ins Auge sehen.
    Schon wieder? Nur das und sonst nichts? Jessie verspürte einen gewaltigen Anflug von Erschöpfung und Niedergeschlagenheit. Einen oder zwei Augenblicke lang hätte sich fast wieder Hoffnung breitgemacht, aber jetzt war nichts mehr da. Gar nichts.
    Du verstehst nicht, sagte sie zu Punkin. Das haben wir schon hinter uns – ganz hinter uns. Ja, ich glaube, was mein Vater damals mit mir gemacht hat, hat etwas damit zu tun, was heute mit mir passiert, ich halte es zumindest für möglich, aber warum sollte ich diese Qualen noch einmal durchmachen, wo noch so viele andere Qualen vor mir liegen, bevor Gott es satthat, mich zu quälen, und die Rollos runterzieht?
    Sie bekam keine Antwort. Das kleine Mädchen im blauen Nachthemd, das kleine Mädchen, das sie einmal gewesen war, war fort. Jetzt herrschte nur noch Dunkelheit hinter Jessies geschlossenen Lidern, wie die Dunkelheit einer Kinoleinwand, wenn der Film zu Ende war, daher schlug sie die Augen wieder auf und sah sich lange und gründlich im Zimmer um, in dem sie sterben würde. Sie sah von der Badezimmertür zum Batikschmetterling zur Kommode zum Leichnam ihres Mannes, der unter seinem giftigen Teppich träger Herbstfliegen lag.
    »Hör auf, Jess. Geh zurück zur Sonnenfinsternis.«
    Ihre Augen wurden groß. Das schien sich tatsächlich echt anzuhören – eine echte Stimme, die nicht aus dem Bad oder der Diele oder ihrem Kopf zu kommen, sondern aus der Luft selbst zu quellen schien.
    »Punkin?« Ihre Stimme war jetzt nur noch ein Krächzen. Sie versuchte, sich noch ein Stückchen aufzurichten, aber ein neuerlicher tückischer Krampf bedrohte ihre Leibesmitte, daher lehnte sie sich sofort gegen das Kopfteil zurück und wartete, bis er abklang. »Punkin, bist du das? Bist du es, Liebes?«
    Einen Augenblick lang dachte sie, dass sie etwas hörte, dass die Stimme noch etwas sagte, aber wenn, konnte sie die Worte nicht verstehen. Und dann war sie völlig verschwunden.
    Geh zurück zur Sonnenfinsternis, Jessie.
    »Dort finde ich keine Lösung«, murmelte sie. »Dort finde ich nur Qualen und Dummheit und …« Und was? Was noch?
    Den alten Adam. Dieser Ausdruck kam ihr mühelos in den Sinn, wahrscheinlich aus einer Predigt, die sie als gelangweiltes Kind gehört haben musste, als sie zwischen ihrer Mutter und ihrem Vater saß und mit den Füßen strampelte, damit sie sehen konnte, wie das Licht, das durch die bunten Kirchenfenster einfiel, auf ihren weißen Lackschuhen glänzte und strahlte.
    Nur ein Ausdruck, der auf das klebrige Fliegenpapier ihres Unterbewusstseins geraten und hängengeblieben war. Der alte Adam - und vielleicht war das auch schon alles, ganz einfach. Ein Vater, der halb absichtlich dafür sorgte, dass er mit seiner hübschen, quirligen kleinen Tochter allein blieb und die ganze Zeit gedacht hatte: Es kann ihr nicht schaden, nicht schaden, kein bisschen schaden. Dann hatte die Sonnenfinsternis angefangen, sie hatte in dem Sommerkleid, das zu klein und zu eng war, auf seinem Schoß gesessen – dem Sommerkleid, das zu tragen er sie persönlich gebeten hatte -, und es war eben geschehen, was geschehen war. Nur ein kurzes, albernes Zwischenspiel, das sie beide beschämt und in Verlegenheit gebracht hatte. Er hatte seinen Saft abgespritzt – und sie hatte geschwiegen und ihm hinterher die Stange gehalten (und ihr war scheißegal, ob eine Zweideutigkeit in diesem Ausdruck lag oder nicht); er hatte ihn

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