Das Spiel
die gespiegelten Wellen an der Decke tanzen sah.
Da sie sich diesen durchaus realen Gefahren ausgesetzt fand, hätte das Grauen vor dem Space Cowboy eigentlich abklingen oder ganz verschwinden müssen, aber je länger sich der Nachmittag hinzog, desto mehr musste sie an den Fremden mit dem weißen Gesicht denken. Sie sah seine Gestalt andauernd gleich außerhalb des Lichtkreises ihrer beeinträchtigten Wahrnehmung, und obwohl sie wenig mehr ausmachen konnte als den generellen Umriss (hager bis zum Punkt der Ausgezehrtheit), stellte sie fest, dass sie das versunkene, widerliche Grinsen immer deutlicher erkennen konnte, während die Sonne ihren Köcher voller Stunden nach Westen schleppte. Sie hörte das staubige Murmeln von Knochen und Juwelen, wenn er diese mit der Hand in dem seltsamen, antiquierten Musterkoffer durchwühlte.
Er würde zu ihr kommen. Wenn es dunkel wurde, würde er kommen. Der tote Cowboy, der Außenseiter, das Gespenst der Liebe.
Du hast ihn gesehen, Jessie. Es war der Tod, und du hast ihn gesehen wie viele Menschen, die an einsamen Orten sterben. Selbstverständlich; man sieht es ihren verzerrten Gesichtern und hervorquellenden Augen an. Es war der alte Cowboy Tod, und heute Abend, wenn die Sonne untergeht, kommt er wieder zu dir.
Kurz nach drei nahm der Wind, der den ganzen Tag lang ruhig gewesen war, wieder zu. Die Hintertür schlug erneut unbarmherzig gegen den Rahmen. Nicht lange danach ging die Motorsäge aus, und sie konnte das leise Plätschern windgepeitschter Wellen an den Steinen am Ufer hören. Der Eistaucher ließ die Stimme nicht mehr erschallen; vielleicht hatte er beschlossen, dass die Zeit gekommen war, nach Süden zu fliegen oder sich zumindest einen Teil des Sees zu suchen, wo die kreischende Lady nicht mehr zu hören war.
Jetzt bin ich allein. Zumindest bis der andere zurückkommt.
Sie bemühte sich nicht mehr, so zu tun, als wäre ihr dunkler Besucher nur Einbildung gewesen; dazu hatte sich die Lage schon zu weit entwickelt.
Ein frischer Krampf schlug lange, bittere Zähne in ihre linke Achselhöhle, bis sie die rissigen Lippen zu einer Grimasse verzerrte. Es war, als würde man ihr mit den Zinken einer Grillgabel ins Herz stechen. Dann zogen sich die Muskeln unmittelbar unter ihren Brüsten zusammen, und die Nerven im Solarplexus schienen zu entflammen wie trockene Fidibusse. Diese Schmerzen waren neu, und sie waren gewaltig – schlimmer als alles, was sie bisher erlebt hatte. Sie krümmte sich wie ein grüner Zweig, ihr Oberkörper zuckte von einer Seite zur anderen, die Knie klappten auseinander und schlugen zusammen. Sie schüttelte das strähnige, verklebte Haar. Sie versuchte zu schreien, konnte es aber nicht. Einen Augenblick lang war sie davon überzeugt, dass es das gewesen war; das Ende der Fahnenstange. Eine letzte Zuckung, und raus mit dir, Jessie; die Kasse ist gleich rechts.
Aber auch dieser ging vorbei.
Sie entspannte sich langsam, keuchte, drehte den Kopf zur Decke. Zumindest vorläufig quälten die tanzenden Spiegelungen da oben sie nicht mehr; ihre ganze Konzentration galt dem brennenden Strang Nerven zwischen und dicht unterhalb der Brüste, und sie wartete, ob die Schmerzen wirklich nachlassen oder stattdessen erneut aufflackern würden. Sie ließen nach … aber widerwillig und mit dem Versprechen, baldmöglichst wiederzukommen. Jessie machte die Augen zu und betete um Schlaf. Selbst eine kurze Pause vom langen und qualvollen Job des Sterbens wäre ihr im Augenblick willkommen gewesen.
Der Schlaf kam nicht, aber dafür Punkin, das Mädchen am Pranger. Sie war jetzt frei wie ein Vogel, sexuelle Verführung hin oder her, und ging barfuß durch den Park des wie auch immer gearteten puritanischen Dorfs, wo sie wohnte, und war erfreulicherweise allein – sie musste den Blick nicht verschämt gesenkt halten, damit kein Junge im Vorbeigehen ihr grinsend oder blinzelnd in die Augen sehen konnte. Das Gras war samtgrün und dunkel und weit entfernt; auf der Kuppe des nächsten Hügels (das muss der größte Stadtpark der Welt sein, dachte Jessie ) graste eine Schafherde. Die Glocke, die Jessie schon einmal gehört hatte, ließ ihren tonlosen, monotonen Klang durch den dämmrigen Tag erschallen.
Punkin trug ein Nachthemd aus blauem Flanell mit einem großen gelben Ausrufezeichen auf der Vorderseite – kaum puritanische Kleidung, aber auf jeden Fall schicklich genug, da es sie vom Hals bis zu den Füßen bedeckte. Jessie kannte das Nachthemd gut und war
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