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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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wieder wie ein hinreichend akzeptables Faksimile eines menschlichen Wesens – schwach, leidend und wacklig auf den Beinen … aber dennoch am Leben und bei Bewusstsein. Sie dachte, dass sie wahrscheinlich nie wieder so etwas Befriedigendes wie diese ersten Schlucke Wasser aus dem sprudelnden Hahn erleben würde, und in ihrer ganzen bisherigen Erfahrung ließ sich nur ihr erster Orgasmus annähernd mit diesem Augenblick vergleichen. In beiden Fällen war sie einige Sekunden lang einzig und allein von den Zellen und dem Gewebe ihres Körpers beherrscht und das bewusste Denken (aber nicht das Bewusstsein selbst) weggefegt gewesen, und das Ergebnis war Ekstase. Ich werde es nie vergessen, dachte sie wohl wissend, dass sie es bereits vergessen hatte, ebenso wie sie den herrlichen süßen Kitzel dieses ersten Orgasmus vergessen hatte, sobald ihre Nerven das Feuer einstellten. Es war, als missbillige der Körper Erinnerungen … oder weigerte sich, die Verantwortung dafür zu übernehmen.
    Das ist alles unwichtig, Jessie – du musst dich beeilen!
    Kannst du nicht aufhören, mich ständig anzuschnauzen?, antwortete sie, obwohl sie wusste, dass Punkin Recht hatte, selbstverständlich. Ihr verletztes Handgelenk sprudelte nicht mehr, aber es war immer noch einiges mehr als ein Rinnsal, und das Bett, dessen Reflexion sie im Badezimmerspiegel sah, war der reine Horror – die Matratze war blutgetränkt und das Kopfteil davon bespritzt. Sie hatte gelesen, dass man eine Menge Blut verlieren und dennoch weiter funktionieren konnte, aber wenn sich das Blatt wendete, dann auf einen Schlag. Und sie forderte auf jeden Fall ihr Schicksal heraus.
    Sie machte das Arzneischränkchen auf, betrachtete die Packung Pflaster und stieß ein schroffes, gackerndes Lachen aus. Wenn sie die selbst zugefügten Verletzungen mit Pflaster versorgen wollte, war das etwa so, als wollte man versuchen, den schiefen Turm von Pisa mit einem Toyota-Abschlepphaken gerade zu ziehen. Ihr Blick fiel auf einen kleinen Karton Maxibinden Marke Always, der diskret hinter einem Wirrwarr von Parfüm und Kölnisch und Rasierwasser stand. Sie stieß zwei oder drei Fläschchen um, während sie den Karton hervorzog, worauf eine erstickende Mischung von Düften die Luft erfüllte. Sie zog die Papierhülle von einer Binde, die sie sich dann wie einen dicken Armreif um das Handgelenk legte. Fast augenblicklich erblühten Mohnblumen darauf.
    Wer hätte gedacht, dass die Frau eines Anwalts so viel Blut in sich hat?, überlegte sie und stieß erneut eine schroffe, gackernde Lachsalve aus. Im obersten Fach des Medizinschränkchens lag eine Blechspule Heftpflaster. Diese holte sie mit der linken Hand. Ihre rechte schien inzwischen kaum mehr etwas anderes machen zu können, als zu bluten und vor Schmerzen zu heulen. Dennoch verspürte sie tiefe Zuneigung für sie, und warum auch nicht? Als sie sie gebraucht hatte, als es absolut keine andere Möglichkeit mehr gegeben hatte, hatte die Hand den letzten Schlüssel genommen, ins Schloss gesteckt und umgedreht. Nein, sie hatte nicht das Geringste gegen Mrs. Rechts.
    Das warst du, Jessie, sagte Punkin. Ich meine … wir sind alle du. Das weißt du doch, oder nicht?
    Ja. Sie wusste es genau und betete, dass sie es nie vergessen würde, sollte sie tatsächlich lebend aus diesem Schlamassel herauskommen.
    Sie öffnete die Heftpflasterrolle und hielt sie linkisch mit der rechten Hand, während sie mit dem linken Daumen das Ende des Bands hochhielt. Sie wechselte die Rolle in die linke Hand über, drückte das Bandende auf den behelfsmäßigen Verband und ließ die Rolle mehrmals um das rechte Handgelenk kreisen, wobei sie die bereits durchweichte Monatsbinde so fest auf den Schnitt an der Innenseite des Gelenks drückte, wie sie nur konnte. Sie riss das Band mit den Zähnen von der Rolle ab, zögerte und fügte dann noch einen überlappenden Armreif aus Klebeband dicht unter dem rechten Ellbogen hinzu. Jessie hatte keine Ahnung, wie viel so ein behelfsmäßiger Druckverband nutzen konnte, aber sie dachte sich, schaden konnte er auf keinen Fall.
    Sie riss das Band ein zweites Mal ab, und als sie die sichtlich geschrumpfte Rolle ins Fach zurücklegte, sah sie eine grüne Flasche Excedrin, die auf dem mittleren Fachboden im Arzneischränkchen stand. Und keine Verschlusskappe mit Kindersicherung – Gott sei Dank. Sie holte sie mit der linken Hand herunter und entfernte den weißen Plastikverschluss mit den Zähnen. Der Geruch der

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