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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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das riechst du, Jessie, und darum quietscht die Diele. Das Ding, das gestern Nacht da war, ist zurückgekommen.
    »O Gott, bitte, nein«, stöhnte sie. »O Gott, nein. O Gott, nein. O lieber Gott, bitte mach, dass es nicht stimmt.«
    Sie versuchte sich zu bewegen, aber ihre Füße waren am Boden festgefroren und die linke Hand am Bettpfosten festgenagelt. Ihre Angst hatte sie so sicher gelähmt, wie näher kommende Scheinwerfer ein Reh oder Kaninchen mitten auf der Straße festhielten. Sie würde hier stehen und hauchend beten, bis es sie holen kam, sie holen - der Space Cowboy, der Schnitter der Liebe, der Handlungsreisende der Toten, dessen Musterkoffer mit Knochen und Fingerringen gefüllt war statt mit Bürsten von Amway oder Fuller.
    Der wabernde Schrei des Hundes schwoll in der Luft an, schwoll in ihrem Kopf an, bis sie glaubte, er müsste sie wahnsinnig machen.
    Ich träume, dachte sie. Darum konnte ich mich nicht erinnern, wie ich aufgestanden bin; Träume sind die geistige Version von Reader’s-Digest-Auswahlbüchern, und wenn man träumt, kann man sich nie an Nebensächlichkeiten wie diese erinnern. Ich bin umgekippt, ja - das ist wirklich passiert, aber statt ins Koma zu fallen, bin ich ganz normal eingeschlafen. Ich glaube, die Blutung muss aufgehört haben, denn ich glaube nicht, dass Menschen, die verbluten, Alpträume haben, wenn sie ausgezählt werden. Ich schlafe, das ist alles. Ich schlafe und habe den Urahn aller bösen Träume.
    Eine ungeheuer tröstliche Vorstellung, an der nur eines nicht stimmte: Sie traf nicht zu. Die tanzenden Baumschatten an der Wand über der Kommode waren echt. Ebenso der eklige Geruch, der durch das Haus zog. Sie war wach, und sie musste von hier weg.
    »Ich kann mich nicht bewegen!«, jammerte sie.
    Doch du kannst, sagte Ruth grimmig zu ihr. Du bist nicht aus diesen verdammten Handschellen rausgekommen, nur um vor Angst zu sterben, Süße. Beweg dich, aber schnell – ich muss dir hoffentlich nicht sagen wie, oder?
    »Nein«, flüsterte Jessie und schlug zaghaft mit dem rechten Handrücken gegen den Bettpfosten. Die Folge war eine sofortige und gewaltige Schmerzexplosion. Der Schraubstock der Panik, der sie festgehalten hatte, zerschellte wie Glas, und als der Hund wieder ein Heulen ausstieß, das einem das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte, hörte Jessie es kaum – ihre Hand war viel näher und heulte viel lauter.
    Und du weißt auch, was als Nächstes zu tun ist, Süße – ja?
    Ja – die Zeit war gekommen, Hockeyspieler zu spielen und den Puck von hier verschwinden zu lassen, zu wandern wie ein Buch aus der Bibliothek. Der Gedanke an Geralds Gewehr kam ihr in den Sinn, aber sie verwarf ihn wieder. Wenn die Flinte überhaupt da war, würde sie ungeladen in einem Regal im Keller stehen, und sie hatte nicht die geringste Ahnung, wo Gerald die Patronen aufbewahrte.
    Jessie ging langsam und vorsichtig mit zitternden Beinen durch das Zimmer und streckte dabei wieder die linke Hand aus, damit sie das Gleichgewicht behielt. Der Flur jenseits des Schlafzimmers war ein Karussell tanzender Schatten, rechts lag die offene Tür zum Gästezimmer, und links befand sich die Tür der kleinen Kammer, die Gerald als Arbeitszimmer benutzte. Weiter unten auf der linken Seite befand sich ein Rundbogen, durch den man ins Wohnzimmer gelangte. Rechts befand sich die offene Hintertür … der Mercedes … und möglicherweise die Freiheit.
    Fünfzig Schritte, dachte sie. Mehr können es nicht sein, wahrscheinlich weniger. Also spute dich, okay?
    Aber zuerst konnte sie nicht. So bizarr es jemandem vorkommen mochte, der nicht durchgemacht hatte, was Jessie in den vergangenen rund achtundzwanzig Stunden erleben musste, aber das Schlafzimmer bedeutete eine Art kläglicher Sicherheit für sie. Der Flur indessen … alles konnte da draußen lauern. Alles. Dann prallte etwas, was sich wie ein geworfener Stein anhörte, gegen die Westseite des Hauses unmittelbar neben den Fenstern. Jessie stieß ihr eigenes Heulen der Angst aus, bevor ihr klarwurde, dass es nur ein Ast der knorrigen alten Blaufichte draußen neben der Veranda gewesen sein konnte.
    Nimm dich zusammen, sagte Punkin streng. Nimm dich zusammen, und geh raus.
    Sie stakste tapfer weiter, ließ den linken Arm ausgestreckt und zählte die Schritte. Bei zwölf kam sie am Gästezimmer vorbei. Bei fünfzehn erreichte sie Geralds Arbeitszimmer, und da hörte sie erstmalig ein leises, tonloses Zischen, als würde Dampf aus einer alten

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