Das Spiel
den Schritt des Besuchers selbst einen zurückzuweichen, und stellte fest, dass sie die Füße nicht bewegen konnte. Es war, als wären sie am Boden festgeklebt.
Es will dich umbringen, Süße, sagte Ruth, und Jessie wusste, dass das zutraf. Wirst du das zulassen? Jetzt schwang kein Ärger oder Sarkasmus mehr in Ruths Stimme mit, nur Neugier. Nach allem, was du durchgemacht hast, willst du das wirklich zulassen?
Der Hund heulte. Die Hand rührte. Die Knochen flüsterten. Die Diamanten und Rubine versprühten ihr trübes Nachtfeuer.
Ohne richtig zu merken, was sie machte, geschweige denn warum sie es machte, nahm Jessie ihre eigenen Ringe, die am dritten Finger der linken Hand, mit dem heftig zitternden Daumen und Zeigefinger der rechten. Die Schmerzen in dieser Hand beim Zugreifen waren schwach und fern. Sie hatte die Ringe alle Tage und Jahre ihrer Ehe fast ununterbrochen getragen, und als sie sie das letzte Mal abnehmen wollte, hatte sie sich die Finger einseifen müssen. Dieses Mal nicht. Dieses Mal glitten sie mühelos herunter.
Sie hielt die blutige Hand der Kreatur hin, die inzwischen bis zum Bücherschrank neben dem Eingang zum Arbeitszimmer vorgedrungen war. Die Ringe bildeten eine mystische Acht unter dem behelfsmäßigen Verband aus der Monatsbinde. Die Kreatur blieb stehen. Das Lächeln des missgestalten Schmollmunds wurde zu einem neuen Ausdruck, bei dem es sich um Wut oder nur Verwirrung handeln mochte.
»Hier«, sagte Jessie mit schroffem, ersticktem Knurren. »Hier, nimm sie. Nimm sie, und lass mich in Ruhe.«
Bevor die Kreatur sich bewegen konnte, warf sie die Ringe in die offene Kiste, wie sie einmal Münzen in die Körbchen mit der Aufschrift KLEINGELD an der Mautstelle New Hampshire geworfen hatte. Jetzt lagen keine fünf Schritte mehr zwischen ihnen, die Öffnung der Kiste war groß, beide Ringe landeten im Ziel. Sie hörte ein leises Klicken, als ihr Ehe- und ihr Verlobungsring auf die Knochen des Fremden fielen.
Das Ding fletschte wieder die Zähne und stieß erneut das einsilbige, schmierige Zischen aus. Es ging noch einen Schritt vorwärts, und da erwachte etwas – etwas, was schockiert und fassungslos auf dem Grund ihres Verstandes gelegen hatte.
»Nein!«, schrie sie. Sie drehte sich herum und rannte den Flur entlang, während der Wind aufbrauste und die Tür schlug und der Laden klapperte und der Hund heulte, und es war direkt hinter ihr, das war es, sie konnte sein Zischen hören, es würde jeden Moment nach ihr greifen, eine schmale weiße Hand, die am Ende eines fantastischen Arms so lang wie ein Tentakel schwebte, sie würde spüren, wie sich ihr die verwesenden weißen Finger um den Hals legten …
Dann war sie an der Hintertür, sie riss sie auf, sie schnellte auf die Veranda und stolperte über ihren rechten Fuß; sie fiel und erinnerte sich noch im Fallen irgendwie daran, dass sie den Körper drehen musste, damit sie auf der linken Seite landete. Das gelang ihr, aber der Aufprall war dennoch so fest, dass sie Sterne sah. Sie drehte sich auf den Rücken, hob den Kopf, sah zur Tür und rechnete damit, das schmale weiße Gesicht des Space Cowboy hinter dem Fliegengitter zu sehen. Sie sah es nicht und konnte auch das Zischen nicht mehr hören. Nicht dass das viel zu sagen gehabt hätte; es konnte jeden Moment herausstürzen, sie packen und ihr die Kehle aufschlitzen …
Jessie rappelte sich auf, schaffte einen Schritt, und dann ließen die von Schock und Blutverlust geschwächten Beine sie im Stich; sie stürzte wieder auf die Veranda und kam neben dem geschlossenen Kästchen zu liegen, in dem sich die Mülltonne befand. Sie stöhnte und sah zum Himmel, wo Wolken im Licht eines Dreiviertelmondes mit irrwitziger Geschwindigkeit von Westen nach Osten rasten. Schatten wanderten über ihr Gesicht wie wundersame bewegliche Tätowierungen. Dann heulte der Hund wieder, der sich hier draußen viel näher anhörte, und das gab ihr das letzte bisschen Schwung, das sie brauchte. Sie griff mit der linken Hand nach dem leicht angeschrägten Deckel des Müllkastens, tastete nach dem Griff und zog sich daran auf die Beine. Als sie stand, hielt sie den Griff fest umklammert, bis die Welt aufhörte, sich zu drehen. Dann ließ sie los und ging langsam auf den Mercedes zu, wobei sie nun beide Arme ausstreckte, um das Gleichgewicht zu halten.
Wie sehr das Haus im Mondschein einem Totenschädel ähnelt!, staunte sie nach ihrem ersten panischen Blick zurück. Wie ein Totenschädel! Die Tür ist
Weitere Kostenlose Bücher